Was die seit zweieinhalb Jahrtausenden anhaltende Menschheitsbelästigung durch Lehrer eigentlich bedeutet, ist erst zu begreifen, wenn man betrachtet, unter welchen Winkel die Wissenden die Noch-nicht-Wissenden angreifen. Nur dort, wo die Säkularisation der Psyche auf der Tagesordnung stand, bei den Einzelnen wie den Kollektiven, wurden für die Lehrenden die inneren Trägheitsverhältnisse bei den zu Belehrenden thematisch. Sie sind es, die, wie man jetzt zu verstehen begann, dafür verantwortlich zeichnen, daß Menschen nicht umstandslos den Weisungen ihrer neuen ethischen Direktoren zu folgen fähig sind. Wenn man unter den ersten Philosophen-Pädagogen obsessive über Gewohnheiten sprach, dann also im Rahmen einer Widerstandsanalyse: Mit ihrer Hilfe soll verständlich werden, wie das in den Menschen schon Vorhandene, die hexis, der habitus, die doxa (im 18. Jahrhundert kommt das Vorurteil hinzu), die Aufnahme des Neuen, des philosophischen Ethos, des expliziten Logos, der gereinigten Mathesis und der geklärten Methode erschwert oder unmöglich macht. Die »Gewohnheit«, als Wort wie als Sache, steht für die faktische Besessenheit der Psyche durch einen Block von schon erworbenen und mehr oder weniger irreversibel verkörperten Eigenschaften, zu denen überdies die zähe Masse des mitgeschleppten Meinungen gerechnet werden muß. Solange der Block unbeweglich verharrt, kann die neue Belehrung nicht beginnen.
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(Du mußt dein Leben ändern, S. 294-295).