Heiligkeit, Genialität

Man hat vergessen oder nie bedacht, daß das Genialität in der Renaissance als neopaganes Substitut der christlichen Heiligkeit lizensiert worden war — beide jedoch, Heiligkeit und Genialität, waren ihrerseits epochentypische Neuauslegungen des antiken Scheintod-Konzepts: Hier wie dort sollte der Einzelne sein profanes sterbliches Ich ablegen, um es gegen ein unzerstörbares geistseelisches Selbst auszutauschen. Dieser Tausch fügt den mittelalterlichen Menschen in die Gemeinschaft der Heiligen ein; bei den Individuen der frühen Neuzeit kommt er eine Aufnahme in den Hochadel des »Furors« gleich.

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(Scheintod im Denken, S.112