Entwurf einer allgemeinen Vernunftpathologie

Die allgemeine Vernunftpathologie, die auf der Linie des späten Husserls zu postulieren wäre, wurde bis heute nicht geschrieben. Sie würde wahrscheinlich drei Hauptteile enthalten müssen: eine Vernunftneurosenlehre in Form einer Phänomenologie der Ideologien, der Phantasmen, der Delirien (hiervon liegen einige halbwegs brauchbaren Abschnitte vor, die nach zeitgemäßer Revision in die Endfassung übernommen werden könnten); eine Lehre von den erworbenen Fehlhaltungen des Geistes (wie sie unter anderem in den Arbeiten der Kieler neo-phänomenologischen Schule entwickelt wurde); und eine Kritik der engagierten Vernunft, einschließlich eine Pathologie des Radikalismus — die trotz zahlreicher Versuche zum »Fanatismus«, zum »Totalitarismus«, zum »Fundamentalismus« und dergleichen über das Stadium von Notizen noch nicht hinausgelangt scheint.

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(Scheintod im Denken, S.47)