Das Ideal einer geistigen Haltung als Eigenschaft

Je mehr sich aber das Bedürfnis herausstellte, sich rein geistig-theoretisch mit der Welt auseinander zu setzen, desto blasser und inhaltsärmer wurde der Begriff Sophia, und unter ihm mußten andere Begriffe entstehen, die diese neue Tätigkeit wirklich bezeichneten.

Denn das Wort σοφια ist dadurch von vornherein auf eine ganz bestimmte Stellung gewiesen, daß es von einem Adjektiv abgeleitet ist: σοφος ist der, der seine Sache versteht (welche Sache bleibt dabei unbestimmt), und σοφια bezeichnet einfach das Ideal einer geistigen Haltung als Eigenschaft (nicht als Tätigkeit).

Um einen Inhalt zu haben, muß sie gewissermaßen mit einer Tätigkeit gefüllt werden. Darum besaß auch das Wort die Fähigkeit, sich den Schwankungen des geistigen Bedürfnisses anzupassen und seinen Inhalt zu ändern. Nun blieb bei der Differenzierungen des Lebens σοφια stets auf der Seite des Theoretischen, und so steht die Sophia an der Spitze aller philosophischen Bestrebungen Griechenlands, — oder vielmehr, seit diese Bestrebungen zum Bewußtsein ihrer Fähigkeiten gekommen waren, die φιλοσοφια.

Sn***

(Die Ausdrücke für den Begriff des Wissens in der vorplatonischen Philosophie, S. 17-18).