Das unzugängliche Unumgängliche

Wenn der Wissenschaft versagt bleibt, überhaupt auf das eigene Wesen wissenschaftlich einzugehen, dann vermögen es die Wissenschaften vollends nicht, auf das in ihrem Wesen waltende Unumgängliche zuzugehen.

So zeigt sich etwas Erregendes. Das in den Wissenschaften jeweils Unumgängliche: die Natur, der Mensch, die Geschichte, die Sprache, ist als dieses Unumgängliche für die Wissenschaften und durch sie unzugänglich.

He***

(Vorträge und Aufsätze: Wissenschaft und Besinnung, S. 66).

Das Unumgängliche jeder Wissenschaft

Ob die Geschichte sich in ihrem Wesen nur durch und für die Historie offenbart oder ob die Geschichte durch die historische Vergegenständlichung nicht eher verdeckt wird, bleibt für die Geschichtswissenschaft unentscheidbar. Entschieden aber ist: in der Theorie der Historie waltet die Geschichte als das Unumgängliche.

(...) Das Unumgängliche waltet im Wesen der Wissenschaft. Demnach müßte zu erwarten sein, daß die Wissenschaft selbst das Unumgängliche in ihr selbst vorfinden und es als ein solches bestimmen könne. Allein gerade dies trifft nicht zu und zwar deshalb, weil dergleichen wesensmäßig unmöglich ist.

(...). Die Physik kann als Physik über die Physik keine Aussagen machen. Alle Aussagen der Physik sprechen physikalisch. Die Physik selbst ist kein möglicher Gegenstand eines physikalischen Experimentes. Dasselbe gilt für die Philologie. (...). Dasselbe gilt für jede Wissenschaft.

He***

(Vorträge und Aufsätze: Wissenschaft und Besinnung: S. 64-65).

Das wissenschaftliche Vorstellen

Das wissenschaftliche Vorstellen kann seinerseits niemals entscheiden, ob die Natur durch ihre Gegenständigkeit sich nicht eher entzieht, als daß sie ihre verborgene Wesensfülle zum Erscheinen bringt. Die Wissenschaft vermag diese Frage nicht einmal zu fragen; denn als Theorie hat sie sich bereits auf das von der Gegenständigkeit eingegrenzte Gebiet festgelegt.

He***

(Vorträge und Aufsätze: Wissenschaft und Besinnung: S. 63).

Bestürzende Wissenschaft

Daß sich das Anwesende, z.B. die Natur, der Mensch, die Geschichte, die Sprache als das Wirkliche in seiner Gegenständigkeit herausstellt, daß in einem damit die Wissenschaft zur Theorie wird, die dem Wirklichen nach- und es im Gegenständigen sicherstellt, wäre für den mittelalterlichen Menschen ebenso befremdlich, wie es für das griechische Denken bestürzend sein müßte.

He***

(Vorträge und Aufsätze: Wissenschaft und Besinnung, S. 57).

Was nie untergeht

το μη δυνον ποτε πως αν τις λαθοι;

He***

(Fr. B 19).

Die Wachenden

τοις εγρηγοροσιν ενα και κοινον κοσμον ειναι

He***

(Fr. B 89).

Im Versteck

φυσις κρυπτεσθαι φιλει.

He***

(Fr. B 123).

Das Früheste

Alles Wesende, nicht nur das der modernen Technik, hält sich überall am längsten verborgen. Gleichwohl bleibt es in Hinblick auf sein Walten solches, was allem voraufgeht: das Früheste. Davon wußten schon die griechischen Denker, wenn sie sagten: Jenes, was hinsichtlich des waltenden Aufgehens früher ist, wird uns Menschen erst später offenkundig. Dem Menschen zeigt sich die anfängliche Frühe erst zuletzt. Darum ist im Bereich des Denkens eine Bemühung, das anfänglich Gedachte noch anfänglicher zu durchdenken, nicht der widersinnige Wille, Vergangenes zu erneuern, sondern die nüchterne Bereitschaft, vor dem Kommenden der Frühe zu erstaunen.

He***

(Die Frage nach der Technik, S. 30).

In der That ist es der Geist...

Die Auflösung dieser Antinomien ist, (...), transcendental, das heißt, sie besteht in der Behauptung der Idealität des Raumes und der Zeit, als Formen der Anschauung, in dem Sinne, daß die Welt an ihr selbst nicht im Widerspruch mit sich, nicht ein sich Aufhebendes, sondern nur das Bewußtseyn in seinem Anschauen und in der Beziehung der Anschauung auf Verstand und Vernunft, ein sich selbst widersprechendes Wesen sey. Es ist dieß eine zu große Zärtlichkeit für die Welt, von ihr den Widerspruch zu entfernen, ihn dagegen in den Geist, in die Vernunft, zu verlegen und darin unaufgelöst bestehen zu lassen. In der That ist es der Geist, der so stark ist, den Widerspruch ertragen zu können, aber er ist es auch, der ihn aufzulösen weiß. Die sogenannte Welt aber (sie heiße objektive, reale Welt, oder nach dem transcendentalen Idealismus subjektives Anschauen, und die Verstandes-Kategorie bestimmte Sinnlichkeit), entbehrt darum des Widerspruchs nicht und nirgends, vermag ihn aber nicht zu ertragen und ist darum dem Entstehen und Vergehen preisgegeben.

He***

(Wissenschaft der Logik, Erster Theil, S. 279).

Auge und Ohr

Tatsächlich stimmen γιγνωσκειν und συνιεναι darin überein, daß beide vom bloßen Berührtsein der Sinne durch den Klang oder durch den Augenschein zu einem geistigen Erfassen vordringen. Diese Wege sind aber nicht zufällig dadurch verschieden, daß das eine Wort von der Wahrnehmung durch das Auge, das andere von der Wahrnehmung durch das Ohr ausgeht, und γιγνωσκειν stärker eine Aktivität, συνιεναι mehr eine rezeptive Haltung und eine Fähigkeit bezeichnet, die der ursprüngliche Bedeutung des Folgens entspricht. γιγνωσκειν hieß, das Wesen der Dinge dadurch zu erkennen, daß man die wechselnden Erscheinungen der objektiv gegebenen Welt rational ordnete. Die Bedeutung der Dinge wird aber nicht verstanden, indem das Was der Dinge erkannt wird (dadurch werden nur die Beziehungen der Dinge in der Außenwelt zueinander erklärt). Ihre Bedeutung wird nur verstanden durch ihre Beziehung zum menschlichen Geist. Und diese Beziehung zum menschlichen Geist ist durch συνιεναι deswegen gegeben, weil es von der Wahrnehmung durch das Ohr ausgeht. Dessen Objekt ist menschliche vernünftige Rede, während das Auge auf die Gegenstände des Raumes gerichtet ist, deren Ordnung es erkennt. Um die Welt auch zu verstehen, muß man sie als Träger eines vernünftigen Sinnes, gewissermaßen als sprechenden, lehrenden Menschen annehmen, dem es zu folgen gilt.

Sn***

(Die Ausdrücke für den Begriff des Wissens in der vorplatonischen Philosophie, S. 48-9).

Wissensvermittlung

Zum ersten Mal treffen wir das Wort γνωσις bei Heraklit. Bei ihm ist γνωσις das Erkennen oder die Erkenntnis der Erscheinungswelt, über die er allerdings spottet, — sie bezeichnet also das Ziel der ionischen Naturphilosophie, deren Wesen wir ja schon im Verbum γιγνωσκειν bezeichnet gefunden hatten. So ist es verständlich, daß dies der erste Begriff ist in der ionischen Philosophie, der wirklich als terminus für die prägnante Bezeichnung einer Wissensvermittlung gelten kann.

Sn***

(Die Ausdrücke für den Begriff des Wissens in der vorplatonischen Philosophie, S. 38).

Denkorgane

Die Denkorgane sind die Weltzeugungs- und Naturgeschlechtsteile.

No***

(Das allgemeine Brouillon, II S.719).

Das Verhältnis des erkennenden Menschen zur Umwelt

Starrere, aber auch inhaltsbestimmtere Begriffe mußten notwendig entstehen, als das Verhältnis des erkennenden Menschen zur Umwelt als ein Wunder empfunden wurde, als eine Brücke zwischen beiden gesucht wurde. Da wurden Begriffe aus dem Sprachgut hervorgeholt, die die Herrschaft des Menschen über das erkannte Objekt nicht lediglich als ein Sein oder Haben bezeichneten, sondern vielmehr als ein Gewinn, also als Tätigkeit. Es ist das Entscheidende, daß diese neuen Worte γνωμη, γνωσις, συνεσις, ιστορια, μαθημα, επιστημη, alle von Verben abgeleitet sind, und nicht wie Sophia vom Adjektiv.

Sn***

(Die Ausdrücke für den Begriff des Wissens in der vorplatonischen Philosophie, S. 18).

Das Ideal einer geistigen Haltung als Eigenschaft

Je mehr sich aber das Bedürfnis herausstellte, sich rein geistig-theoretisch mit der Welt auseinander zu setzen, desto blasser und inhaltsärmer wurde der Begriff Sophia, und unter ihm mußten andere Begriffe entstehen, die diese neue Tätigkeit wirklich bezeichneten.

Denn das Wort σοφια ist dadurch von vornherein auf eine ganz bestimmte Stellung gewiesen, daß es von einem Adjektiv abgeleitet ist: σοφος ist der, der seine Sache versteht (welche Sache bleibt dabei unbestimmt), und σοφια bezeichnet einfach das Ideal einer geistigen Haltung als Eigenschaft (nicht als Tätigkeit).

Um einen Inhalt zu haben, muß sie gewissermaßen mit einer Tätigkeit gefüllt werden. Darum besaß auch das Wort die Fähigkeit, sich den Schwankungen des geistigen Bedürfnisses anzupassen und seinen Inhalt zu ändern. Nun blieb bei der Differenzierungen des Lebens σοφια stets auf der Seite des Theoretischen, und so steht die Sophia an der Spitze aller philosophischen Bestrebungen Griechenlands, — oder vielmehr, seit diese Bestrebungen zum Bewußtsein ihrer Fähigkeiten gekommen waren, die φιλοσοφια.

Sn***

(Die Ausdrücke für den Begriff des Wissens in der vorplatonischen Philosophie, S. 17-18).

Der verständnisvolle Zuhörer

Pindar spricht von seinen eigenen Sophia, und auch sonst ist an vielen Stellen deutlich daß σοφος und σοφια auf die Dichtung bezogen sind.

Bei Pindar sehen wir, wie stark ihm die Sophia schon intellektuelle Bedeutung besitzt; er spricht sie auch dem verständnisvollen Zuhörer zu.

Sn***

(Die Ausdrücke für den Begriff des Wissens in der vorplatonischen Philosophie, S. 11).

O Ionia!

O Land des Homer!
Am purpurnen Kirschbaum, oder wenn,
Von dir gesandt, im Weinberg mir
Die jungen Pfirsiche grünen,
Und die Schwalbe fernher kommt und vieleserzählend
An meinen Wänden ihr Haus baut, in
Den Tagen des Mais, auch unter den Sternen
Gedenk ich, o Ionia! dein. doch Menschen
Ist Gegenwärtiges lieb.

Hö***

(Die Wanderung, 79-87).

Kolonialboden Ioniens

Je mehr sich der Einzelne aus der gesellschaftlichen und staatlichen Bindung löste — und auf den Kolonialboden Ioniens, wo sich diese Entwicklung zunächst vollzog, mögen die wirtschaftlichen und politischen Zustände einem solchen Prozesse besonders günstig gewesen sein — desto stärkeren Abstand gewann das theoretische Verhalten von praktischen Fragen, an denen sich ursprünglich das philosophische Interesse entzündet hatte.

Sn***

(Die Ausdrücke für den Begriff des Wissens in der vorplatonischen Philosopie, S. 4).

Die Beschäftigung mit geistigen Dingen

Dikaiarch, der Schüler des Aristoteles, scheint der erste aus dem Kreis der griechischen Gelehrten gewesen zu sein, der es deutlich empfand, daß die Beschäftigung mit geistigen Dingen den Menschen allmählich dem praktischen Handeln entfremdet hatte. Ihm schienen die Sieben Weisen noch mit ihrem ganzen Tun philosophiert zu haben, während man heute in bloßen Worten kramte.

Sn***

(Die Ausdrücke für den Begriff des Wissens in der vorplatonischen Philosophie, S. 1).

Mauerhaken

Wir hängen uns so lange an diese philosophischen Mauerhaken
bis sie locker sind
und wenn wir lebenslänglich daran zerren
reißen wir alles nieder

Be***

(Der Weltverbesserer)

Das qualitative und quantitative Unendliche

Das qualitative und quantitative Unendliche unterscheiden sich dadurch, daß im ersten der Gegensatz des Endlichen und das Unendlichen qualitativ ist, und der Uebergang des Endlichen in das Unendliche, oder die Beziehung beider auf einander nur im Ansich, in ihrem Begriffe liegt. Die qualitative Bestimmung ist als unmittelbar, und bezieht sich auf das Andersseyn wesentlich als auf ein ihr anderes Seyn, sie ist nicht gesetzt, ihre Negation, ihr Anderes an ihr selbst zu haben. Die Größe hingegen ist, als solche, aufgehobene Bestimmtheit, sie ist gesetzt, ungleich mit sich und gleichgültig gegen sich selbst, daher das Veränderliche zu seyn. Das qualitative Endliche und Unendliche stehen sich daher absolut d.h. abstrakt gegen einander über; ihre Einheit ist die zu Grunde liegende innerliche Beziehung; das Endliche kontinuirt sich daher nur an sich, aber nicht an ihm, in sein Anderes. Hingegen das quantitative Endliche bezieht sich an ihm selbst in sein Unendliches, an dem es seine absolute Bestimmtheit habe.

He***
(Wissenschaft der Logik, Erster Theil, S. 264).