Tobsucht, Raserey, Furor, Mania

Der Hauptcharakter der Raserey, vielleicht ihr einziger, ist übereilte, rastlose, im höchsten Grade gespannte Thatkraft, die sich in scheinbar eigenmächtigen Handlungen, aber ohne alles Bewusstseyn eines sinnlichen oder verständigen Zwecks äussert, und Product einer abnormen Umwälzung der Organisation ist.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 364.

Formen des fixen Wahns

a) Fixirte Vorwürfe, die sich der Kranke über begangne Fehler, Handlungen oder verabsäumte allgemeine oder besondere Pflichten mit oder ohne Grund macht.
b) Einbildungen zu verarmen und vor Hunger sterben zu müssen, oft bey hinlänglichem Vermögen.
c) Fixe Vorstellungen, die sich auf Verwandlungen des Körpers und der Persönlichkeit beziehn ( mania metamorphosis).
d) Fixe Ideen, die sich auf Aberglauben beziehn.
e) Fixer Wahn, der sich auf religiöse Gegenstände bezieht.
f) Fixer Wahnsinn, der sich auf Liebe bezieht.
g) Lebensüberdruss ist eigentlich nicht fixe Idee, sondern Product, und zwar von mehreren Arten derselben.
h) Dem Lebensüberdruss steht die fixe Idee der Todesfurcht entgegen.
i) Fixer Wahn, durch Aufopferungen sich bekannt zu machen, die Menschen zu verwirren, sie in Bestürzung zu setzen, unglücklich zu machen.
k) Wahnsinn, der sich auf Schwärmerey bezieht. Entweder das Object selbst ist eine Chimäre, oder der Kranke verfolgt es mit einem Enthusiasmus, dessen es nicht werth ist.
l) Noch komme ich am Schluss auf ein Paar Zustände, nemlich auf den dumpfen und rastlosen Wahnsinn, die man zwar als Arten aufgestellt hat, aber sie enthalten beide keine bestimmte fixe Idee, fondern sind Produkte derselben. Diese besteht in einer rastlosen Unruhe, die den Kranken veranlasst, ohne Bewusstseyn eines Zwecks an öden Oertern herumzuirren; jene ist eine Catalepsie des Vorstellungsvermögens, durch welche sein Fortschreiten, sein Einfluss auf die Bewegungsorgane und die Freiheit des Willens aufgehoben ist. Beide sind Produkte eines asthenischen Zustandes der Seelenkräfte.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 334-361.

Psychische Kur der fixen Wahn

Bey der psychischen Kur dieser Geisteszerrüttung kömmt es bloss allein darauf an, die fixe Vorstellung zu tilgen. Mit ihr schwinden alle Triebe, Begierden und unstatthaften Handlungen, die von ihr, als von ihrer Quelle, ausströmen. Sobald dieselbe auch nur in längeren Zwifchenräumen schweigt und dadurch der zitternden Saite einzelne Ruhepunkte verstattet werden; so vermindert sich ihre hervorstechende Reizbarkeit, in welcher die kranke Fertigkeit gegründet ist. Mit der Rückkehr des normalen Kraftverhältnisses im Seelenorgan kehrt die Freiheit der Ueberlegung und die Bestimmung des Willens nach den Gesetzen der Vernunft zurück.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 324.

Der fixe Wahn und andere Arten

So wechselt auch der fixe Wahn mit andern Arten von Geisteszerrüttungen, oder geht ganz und gar in dieselben über. Seltner verwandelt er sich in Tobsucht, häufiger in Narrheit und Blödsinn. Die örtliche Verkehrtheit breitet sich aus, und die heftigen Anstrengungen der Seele stumpfen endlich ihre Kräfte ab. Der fixe Wahn unterscheidet sich durch seine örtliche Verkehrtheit von der Tobsucht und Narrheit, in welchen die ganze Seele leidet. In der Narrheit sind täuschende Vorstellungen die der Kranke nicht heftig verfolgt. In der Tobsucht ist das Nervensystem auf den äussersten Grad erregt, aber die kühnen Handlungen sind, soweit wir es einsehn, nicht sowohl Produkte eines aufgestellten Zwecks, sondern eines blinden körperlichen Drangs. Der Blödsinn charakterisirt sich durch Ohnmacht, und kann die Merkmale des fixen Wahns an sich tragen, wenn er aus derselben entsprungen ist.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 318-9.

Der fixe Wahnsinn

Der fixe Wahnsinn besteht in einer partiellen Verkehrtheit des Vorstellungsvermögens, die sich auf einen oder auf eine Reihe homogener Gegenstände bezieht, von deren Daseyn der Kranke nicht zu überzeugen ist, und die daher die Freiheit seines Begehrungsvermögens beschränkt, und dasselbe gezwungen, seiner fixen Idee gemäss, bestimmt.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 306-8.

Arten der Verrücktheit

Als Arten der Verrücktheit setze ich vorerst den fixen Wahn, die Wuth, die Narrheit und den Blödsinn.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 305.

Ehmals und jetzt

Kein nosologischer Eintheilungsgrund

Bey diesen absoluten Mängeln unserer Erkenntniss begnüge ich mich damit, zum prakliscben Gebrauch für Aerzte vorerst nur einige feste Punkte in das Chaos der Geisteszerrüttungen zu stellen. Ich will nemlich solche specifisch eigenthümliche Zustände derselben aufhieben, die in sich selbft soviel Charakter haben, dass sie als Arten in jedes System passen müssen und sie durch Merkmale bezeichnen, durch welche sie überall von jedermann erkannt werden können. Unter dieselben können die meisten Fälle subsummirt werden. Der Rest bleibt so lang als Naturspiel im Chaos zurück, bis wir mit seinem Wesen näher bekannt werden. Die Aerzte fehlten darin meistens, dass sie durch zu viele und ausserwesentliche Merkmale die Grenzen der Arten zu eng gefasst haben. Denn wenn wir dem Wahnsinn, ausser seinem wesentlichen Merkmal fixer Ideen, noch ein anderes des Trübsinns zufügen, so stossen wir auf Fälle fixer Ideen, denen das letzte Merkmal fehlt, und die deswegen keinen Platz im System finden. Den Grund dieser bestimmten Formen zerrütteter Seelenkräfte im Organismus, als nosologischen Eintheilungsgrund derselben, kenne ich nicht und bin daher genöthiget, sie wie meine Vorgänger durch Merkmaie zu bestimmen, die sich auf verletzte Seelenvermögen beziehn.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 302-3.

Arten der Geisteszerrüttung

Arten der Geisteszerrüttungen sind specifische eigenthüm1iche Verletzungen der Dynamick des Gehirns, in Beziehung auf seine Funktion als Seelenorgan, die sich daher durch einen Inbegriff steter Symptome zu erkennen geben müssen. Die Symptome dieser Krankheiten müssen als gestörte Geschäffte der Seele erscheinen, sofern das Gehirn nach seinen verschiedenen Zuständen zur Hervorbringung dieser Geschäffte mitwirkt. Varietäten entstehn durch das Verhältniss der Verrücktheit zu ihren mannichfaltigen entfernten Ursachen, durch die Verschiedenheit ihrer Stärke und Dauer, durch ihre Zusammensetzung mit anderen Seelen- oder Körper-Krankheiten und endlich durch die Modifikation, welche die abstract gedachte Krankheit erleidet, wenn sie als wirklich in einem Individuum gesetzt wird.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 299.

Religiöser Wahn

Die Religion wird uns zu früh vor der Reife des Verstandes, wenn wir jeden Eindruck festhalten, sie wird uns als Glaubenssache eingeprägt, über die man nicht vernünfteln soll. Ihr stellt man zwey mächtige Leidenschaften, Furcht und Hoffnung, zur Seite, und knüpft dieselbe an Gegenstände, die ausser dem Gebiete der Erfahrung liegen. Wie leicht können daher Dogmen der Theologie, falsche Begriffe von der Gewalt des Teufels, von der Prädestination, von der Versöhnung, von der Strafgerechtigkeit Gottes, von der Ewigkeit der Höllenstrafen einen an Körper und Seele schwachen Menschen, der krank, hypochondrisch, durch Unglücksfälle gebeugt ist, seine düstere Phantasie in stiller Einsamkeit nährt, und seinen Hang zum Wunderbaren durch mystische Schriften befriedigt, zum Wahnsinn führen? Und wie schwer wird dieser Schwärmer zu bekehren seyn. Jeder Widerspruch empört ihn, jeden Zweifel hält er für Gotteslästerung. Alle Vernunftgründe scheitern an seiner erhitzten Einbildungskraft. Man soll daher dem Wahnsinn aus dieser Quelle vorbeugen, da er so schwer zu heilen ist, den Fanatismus bekämpfen, die Religion von Schwärmerey, Mystik und Pietismus reinigen.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 281.

Produkte statt Ursachen

Zur gründlichen Erkenntniss und Cur der entfernten Ursachen des Wahnsinns würde es nöthig seyn, dass theils der Zusammenhang der absolut äusseren Potenzen mit dem Gehirn, durch die Vermittelung der Nerven, theils die specifisch eigenthümlichen Krankheiten der Organisation, die die Seelenvermögen verletzen bestimmt angegeben würden. Allein beides ist uns in den meisten Fällen unmöglich. Wir sind daher genöthiget, uns an die Verletzungen der Seelenkräfte zu halten, durch welche sie sichtbar werden, und die Produkte statt der Ursachen aufzufassen. Allein nach dem Befund jener können wir diese nicht mit Zuverlässigkeit bestimmen. Denn den Seelenvermögen sind keine abgemessenen Grenzen im Nervensystem angewiesen.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 256.

Kultur des Verstandes

Häufig sind sinnliche und moralische Auswüchse Ursache der Geisteszerrüttungen. Die Sinnlichkeit herrscht, die Einbildungskraft überflügelt den Verstand, Schein und lrrthum, Aberglaube und Vorurtheile verrücken die richtige Ansicht solcher Gegenstände, an welchen jeder Mensch warmen Antheil nimmt. Liebe, Ehre, Habe, Religion, Gesundheit und persönliche Sicherheit treten in einem falschen Lichte hervor. Das Heer der Leidenschaften wird rege und die Vernunft geht durch ihre Stürme zu Grunde. Diesen Uebeln soll man durch Kultur des Verstandes begegnen, und durch sie die verschiedene Naturen des Menschen in ihre natürlichen Verhältnisse einsetzen.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 279-280.

Arbeit macht gesund

In allen Irrenhäuser müssen die Kranken zur Arbeit angehalten werden, welches man durch einen leichten Zwang bewerkstelligen kann, wenn sie erst unterjocht sind. Dadurch wird die körperliche Gesundheit, mit derselben frohe Laune und in dem Tollhause Regel und Ordnung erhalten. Allein ausserdem ist die Arbeit noch ein treffliches Mittel den Irrsinn selbft zu heilen. Sie muss gesund, wo möglich in freier Luft und mit Bewegung und Abwechselung verbunden seyn. Das letzte ist wenigstens in Beziehung auf fixes Wahn nothwendig.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 240-1.

Unterjochung des Geisteskranken

Um den Kranken zu unterjochen muss man ihm zuförderst jede Stütze rauben, damit er sich durchaus hülflos fühle. Man entferne ihn von seinen Verwandten; dem Gesinde, das ihm gehorchen muss, von seinem Hause und aus seiner Vaterstadt; bringe ihn in ein Tollhaus, in welchem ihm weder das Lokal noch die Menschen bekannt sind. Dies spannt seine Erwartung, und um desto mehr, wenn seine Einführung in dasselbe mit feierlichen und schauderhaften Scenen verknüpft ist. Er hört bey seiner Annäherung Trommelschlag, Kanonendonner, fährt über Brücken, die in Ketten liegen, Mohren empfangen ihn. Ein Eintritt unter so ominösen Vorbedeutungen kann auf der Stelle jeden Vorsatz zur Widerspenstigkeit vernichten. In der Absicht hat man es auch bereits wirklich vorgeschlagen, die Kranken bey Nacht, oder in verdeckten Wagen, und durch Umwege in die irrenanstalt zu fahren, um sie dadurch zu täuschen, als würden sie in ferne Gegenden fortgeschafft.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 225.

Vorläufige allgemeine Regeln

Vorläufig einige allgemeine Regeln, die auf die psychische Curmethode des Wahnsinns überhaupt Bezug haben.

1) Ein zuverläffiges Heilverfahren dieser Krankheit ist nach dem jetzigen Stand unseres Wissens nicht möglich. Die Natur derselben und ihre Causalverhältnisse sind uns wenig bekannt und die Wirkungen der psychischen Mittel so relativ, dass wir auf nichts Bestimmtes rechnen können.
2) Eine Hauptsache ist es, dass der Kranke gleich beim ersten Ausbruch seiner Geisteszerrüttung in die Hände eines geschickten Arztes falle. Die Krankheit schreitet fort, ändert ihre Gestalt wird schwerer heilbar mit ihrem Alter und ein Fehlgriff bey den ersten Versuchen kann den Kranken für jeden künftigen Plan unempfänglich machen.
3) Alle zum Behuf des Curplans erfundenen psychischen Mittel, Zerstreuungen, Ableitungen u.s.w. müssen dem Kranken als durch Zufall herbeigeführt erscheinen und daher mit Klugheit und Behutsamkeit ausgeführt werden, damit er nichts von Absicht oder Betrug ahnde. In dieser Hinsicht rechne man nicht zuviel auf seinen Stumpfsinn.
4) Verliert derjenige, welcher die Cur des Kranken vorzüglich handhabet, das Zutrauen desselben durch irgend einen Fehlgriff in der Methode, so gelingt ihm schwerlich irgend ein künftiger Versuch. Er gehe ab und überlasse seinen Platz einem andern Arzt, den sein Irrthum auf einen entgegengesetzten besseren Weg leiten kann.
5) Den Kranken, der sich ermannt hat, muss man zu halten suchen. In dem Moment, wo er zurücksinken will, setze man ihm gleich eine Stütze. An Mannichfaltigkeit der Mittel darf es daher dem psychischen Arzt nicht fehlen. Jeder wiederkehrende Anfall hinterlässt eine neue Zerrüttung des Gehirns.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 218-221.

Brenkenhoffsche Troge

Diese neue Tortur, sagt Claproth im Entwurf eines Gesetzbuchs 1. Forts. (1774) besteht in einem rund ausgehöhlten Troge, in welcher der Inquisit horizontal ausgestreckt gelegt, unten an beyden Füssen geschlossen, auch an den Hals ein hölzerner Kragen befestiget wird; beyde Armen aber, mittelst zweyer in dem Trog gemachten Ausschnitte, ausserhalb des Troges, der Länge nach ausgestreckt sind, und der Inquisit auch an jeder Hand festgeschlossen ist. Ohne alle andre Peinigung muss er nur im Troge unbeweglich liegen, bis er bekennt.

Beyträge zu der juristischen Litteratur in den preussischen Staaten. Eine periodische Schrift, vierte Sammlung, Berlin 1780, S. 206-7.

Unschädliche Arten der Tortur

a) Erregung des unangenehmen Lebensgefühls
b) Hunger und Durst
c) Niesmittel
d) Blasenpflaster, Haarseilen, das Abbrennen der Moxa, das glühende Eisen oder brennendes Siegellack
e) Das Peitschen mit Brennesseln
f) Ein starker Kitzel
g) Die Krätze
h) Unschädliche Arten der Tortur, z.B. die Brenkhöffschen Tröge, das Tropfbad auf den abgeschorenen Wirbel des Kopfs, das tormentum cum scarabaeo, mure vel capra
i) Züchtigungen durch Ruthenstreiche
k) Das Wasser

In allen andern Fällen, wo der Kranke keine Strafe verdient, keine Begriffe von derselben und ihrem Verhältniss zur Untugend hat, sinnlos, keiner Furcht oder Correction fähig ist, sind sie zwecklos und alsdenn Barbarey. Sie machen diese unglücklichen Geschöpfe furchtsam, misstrauisch und heimtückisch, vermehren ihre Wuth, stürzen sie in einen unheilbaren Zustand und verwandeln ihre Verkehrtheit in Blödsinn. Die Züchtigungen mussen nicht unmässig und grausam, oder der Gesundheit nachtheilig, sondern dem Zweck angemessen seyn, und gleich unterbleiben, wenn der Zweck wegfällt, oder erreicht ist. Sie werden in der Maasse gemildert und abgeändert, als die Vernunft wiederkehrt.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 188-197.

Heilkraft des Beischlafs

Das stärkste und angenehmste körperliche Gefühl bewirkt der Genuss des Beischlafs.

Die häufigen Aeusserungen der Geilheit verrückter Personen, sind fie ailemal das, wofür sie gehalten werden, Ursache der Krankheit? Können sie nicht auch Wirkungen des nemlichen Zustandes, z.B. einer Ueberladung mit elektrischer Materie seyn, die im Kopf als Tobsucht, in den Geschlechtstheilen als Geilheit repräsentirt wird? In Verrücktheiten, deren Ursache Geilheit ist, kann der Beischlaf als körperliches Heilmittel wirken. Endlich wirkt die physische Liebe noch auf das moralische Gefühl des Kranken, bald mit einem guten Erfolg bald zum Nachtheil desselben. Man gebe dem weltdummen Platoniker, der den Funken eines höheren Wesens in den Tugenden des weiblichen Geschlechts ahndet und darüber zum Narren ward, eine Bordel-Nymphe zur Gesellschaft. Ich zweifle nicht, sie wird ihn von seinem Wahn bekehren, wenn er an sich dessen fähig ist, und ihn bald von dem Gipfel seines Ideals an die Pfütze unreiner Neigungen herablocken.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 185-187.

Classifikation der psychischen Mittel

Wie sollen die psychischen Mittel classificirt werden? In der That eine schwierige Aufgabe. Nach ihrem Einfluss auf die verschiedenen Seelenvermögen? Nein. Denn nur auf das Gefühls- und Vorstellungsvermögen können sie direct wirken; auf das Begehrungsvermögen wirken sie secundär. Dazu kommt noch, dass kein psychisches Mittel auf einen bestimmten Inbegriff von Erregungen beschränkt ist. Ich habe es daher versucht, den Inbegriff aller psychischen Mittel gleichsam nach ihren vorwaltenden Bestandtheilen zusammenzustellen; d.h. ich habe sie theils mit Rücksicht auf ihre Natur an sich, theils mit Rücksicht ihres nächsten und direkten Effects auf die Seele in bestimmte Classen abzutheilen gesucht. Nach dieser Idee sind sie unter drey verschiedne Ansichten geordnet und bey jedem einzelnen Mittel muss dann die Bedingtheit seiner Wirksamkeit angezeigt werden. Die erste Classe enthält Mittel, die an sich materieller Natur sind, unmittelbar mit dem Körper des Kranken in Gemeinschaft gebracht werden, und dies in der Absicht, damit derselbe durch sie auf eine bestimmte Art verändert und sein veränderter behaglicher oder unbehaglicher Zustand der Seele durchs Gemeingefühl vorgestellt werde. Die zweite Classe psychischer Mittel besteht aus realen Objekten für den äusseren Sinn, besonders für das Auge, Ohr und das Getast. Die letzte und dritte Classe enthält Zeichen, Symbole, Pantomimen und besonders Sprache und Schrift, durch welche wir Vorstellungen, Imaginationen, Urtheile und Begriffe im Seelenorgan zu erregen, die höheren Seelenkräfte zu rectificiren und den Kranken zur eignen Geistesthätigkeit zu wecken suchen.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 178-181.

Erregung und Beruhigung

Wir entfernen solche Reize, die sie krank machen und lassen solche zu, durch welche das Spiel ihrer Kräfte in der Art erregt wird, dass dadurch die Heilung einer Krankheit zu Stande kommen kann. Dies kann man die positive, jenes die negative Heilmethode nennen. Der direkte Erfolg der positiven Methode ist Erregung, der negativen Beruhigung. Allein Erregungen können auch beruhigen, aber indirect, indem durch sie die vorhandenen Ideenreihen ausgelöscht werden. Umgekehrt können Beruhigungen durch entzogene Reize neue Thätigkeiten wecken, sofern die Seele den Müssiggang flieht und andere Beschäfftigungen sucht, wenn sie von den vorhandenen zurückgewiesen ward.

Wir können zuweilen durch Entfernung schädlicher Darmreize, durch Abstumpfung zu reizbarer Nerven des Unterleibes und durch Kühlung erhitzter Geschlechtstheile auf der Stelle Anomalieen im Seelenorgan heilen, die durch diese Reize veranlasst sind.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 168, 169.

Auf den äussern Sinn wirken

Direct können wir nur auf einen Theil des Vorstellungsvermögens, nemlich auf den äussern Sinn wirken. Wir bringen so starke und interessante Objekte in die Sphäre der Sinnlichkeit des Kranken, dass sie ihn nöthigen, sie anzuschauen. Allein der faselnde oder fixirte Kranke achtet derselben wenig, nimmt sie entweder gar nicht wahr, oder lässt sie als ihm gleichgültig bey Seite liegen. Nun ist es aber meistentheils unstatthaft, den Sinnesanschauungen dadurch ein Interesse zu verschaffen, dass wir sie mit dem Inhalt seiner Verrücktheit in Verbindung bringen. Wir mussen ihn daher durch Zwang nöthigen, sie zu beachten, wie ich unten sagen werde, oder Sinnesanschauungen, z. B. lange und gellende Töne wecken, die zugleich das Gefühlsvermögen afficiren, oder sie mit zufälligen Gefühlen in eine solche Verbindung stellen, die der Kranke für wesentlich hält, oder endlich solche Objekte verschieben, die durch ihre Grösse und Majestät die Befonnenheit wecken. Den innern Sinn und das Denkvermögen des Kranken können wir nicht direct erregen. Der verkehrte Verstand verarbeitet den gegebenen Stoff nach den anomalen Denkgesetzen, die durch die Revolution im Gehirn zu Stande gekommen sind. Zur Anfchauung der eignen Persönlichkeit gehört ein leises Gefühl und eine Freiheit der Aufmerksamkeit, die dem Verrückten fehlt. Eben so können wir auch die reproduktiven Vorstellungskräfte nicht direct in Thätigkeit setzen, und noch weniger ihre Association leiten.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 164-5.

Der Körperarzt

Eben so unfähig ist der blosse Körperarzt zur Heilung der Geisteszerrüttungen. Er kann sie nur umgehen, aber dieselben nie direct angreifen. Denn dies ist allein durch die psychische Curmethode möglich. Es ist ein empörendes Schauspiel, wenn man zusieht, wie übel der handfeste Empiriker mit seinen Geisteskranken umspringt. Gleich einem blinden Maulwurf wühlt er sich in ihre Eingeweide ein, und sucht die Seele auf, wo die Natur die Werkstätte für die niedrigsten Operationen der Thierheit angelegt hat. Deklinationen des Denkvermögens will er durch Verdünnung eines atrabilarischen Bluts und durch Schmelzung stockender Säfte im Pfortadersystem berichtigen, Seelenschmerz mit Niesswurz und verkehrte Gedankenspiele mit Klistirspritzen bekämpfen. Wehe dem Ebenbilde Gottes, das unter einen solchen Hobel fällt!

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 138-9.

Heilbare Geisteszerrüttungen

Hieraus erhellt also, dass überhaupt genommen alle Geisteszerrüttungen, die noch als heilbar anerkannt werden, für die pyschische Curmethode geeignet sind. Doch müssen solche Geisteszerrüttungen, die von Leidenschaften, Anstrengungen der Seele und anderen moralischen Ursachen entsprungen, einfach und rein dynamisch (ab intemperie immateriali), also ohne Fehler und sichtbare Desorganisationen in der beharrlichen Materie sind, ganz allein durch die psychische Curmethode behandelt werden. Endlich scheint es, dass der fixe Wahnsinn mehr als die Tobfucht, Narrheit und der Blödsinn für sie geeignet sey.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 144.

Gedankenjagd

Der obigen Krankheit stehen die Ideenzüge und ihr höherer Grad die Gedankenjagd entgegen. In derselben leidet das Vorstellungsvermögen an einem doppelten Gebrechen. Die Ideen scheinen theiis isolirt und ohne Verknüpfung zu seyn, die sie nach den Gesetzen der Association haben füllten, theiis folgen sie sich im Verhältniss mit dem Kraft-Maass des Kranken so schnell, dass es ihm an Weile fehlt, sie festzuhalten, zu beäugeln, zu vergleichen, zu trennen. Es keimen Bilder der Erinnerung, neue Schöpfungen
der Phantasie und tolle und verwirrte Raissonnements auf, die die Seele weder fixiren noch lenken kann.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 132.

Catalepsie des Vorstellungsvermögens

Die Seele starrt zuweilen unverwandt auf ein Object, oder auf einen engen Kreis verwandter Objekte hin, wie ein Thier, das von einer Klapperschlange ins Gesicht gefasst ist. Sie feiert nicht, sondern wirkt; es fehlt ihr aber die Mobilität zum Fortschreiten in ihren Handlungen. Diesen Zustand derselben werde ich Catalepsie ihres Vorstellungsvermögens nennen. Die Grade derselben sind verschieden. Gesunde Menschen wiederholen zuweilen ein Wort ohne Wechsel, oder starren unverwandt ein nahe gelegnes Object an, ohne klares Bewusstseyn ihrer Existenz, und bemerken erst beim Aufhören des Anfalls, dass fie abwesend waren. Sie sind dabey im Stande, sich zu bewegen und gewöhnliche Gegenstände wahrzunehmen , doch scheint es, als geschähe dies bloss durch mechanische Reflektionen im Nervensystem. In diesem Zustande, den man eine Vertiefung in Gedanken zu nennen pflegt, ift der Mensch ohne Gedanken, kann also auch darin nicht vertieft seyn. Steigt die Catalepsie, so hören alle Wirkungen des Gemeingefühls, der Sinne und der Phantasie auf, die Associationen stocken und alles Bewusstseyn der Subjektivität und Objektivität geht verlohren. Es ift vollkommne Geistesabwewenheit vorhanden.

Alle Kranke, die am fixen Wahnsinn leiden, sind mehr oder weniger cataleptisch. Sie haben zwar einigen Wechsel ihrer Vorstellungen, der aber nicht über den Kreis hinausgehen kann, in welchem ihr Wahnsinn sie beschränkt.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 125-126.

Zusammengesetzte Seelenkrankheiten

In der Wirklichkeit find die meiften Seelenkrankheiten Zusammensetzungen. Sie entstehn als unbedeutende Grössen, wachsen aber im Fortwälzen wie Schneelavinen, zu Massen an, die den ganzen Mikrokosmus bouleversiren. Wir finden sie in Gruppen und Züge, die die Natur aus mehreren Arten in einem Individuum zusammenhäuft. Diese Gruppen bestehn theils aus lauter Seelenkrankheiten, theils aus Krankheiten von verschiedner Natur. Ihr Causalverhältniss ist mannichfaltig.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 124.

Mangel an Ausdauer

Die Richtung der Kraft auf einen Punkt, oder das Aufmerken und Wirken auf einen Gegenstand, muss im gesunden Zustande eine gewisse Ausdauer haben.

In asthenischen Nervenkrankheiten ermüdet sie im Vortrage, beim Zuhören und überhaupt im Verfolgen eines Gegenstandes des Denkens. Sie muss zu oft wechseln, zu oft Ruhepunkte haben und nach ihrer Anstrengung bleibt ein Gefühl von Schwäche zurück. Mangel an Ausdauer und Bedürfniss des Wechsels verursacht Flatterhaftigkeit. Die Seele hüpft vor schneller Ermüdung von einem Gegenstand auf den andern, ohne einen festhalten zu können.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 123, 124.

Wanken der dynamischen Temperatur im Seelenorgan

Es heben sich Vorstellungen, die sich auf den handelnden Theil beziehn, aus der Menge zum klaren Bewusstseyn hervor und ziehn dadurch unsere Besonnenheit und Aufmerksamkeit an. Alles übrige schwimmt, wie die entfernten Gegenstände einer Landschaft, am Helldunkel vorüber. Allein dies Wirken des Nervensystems in seinen verschiednen Getrieben erfolgt nach einer festen Regel, die durch die normale Vertheilung seiner Kräfte gegründet und durch das Auffallen bestimmter Objekte im Selbstbewusstseyn und der Besonnenheit angekündiget wird. Sobald dies Verhältniss der dvnamischen Temperatur im Seelenorgan wankt, so wankt auch die normale Receptivität für äussere Gegenstände; es weicht die Ausbreitung der bewirkten Erregungen ab von den Gesetzen der Association. Die Angel der Verbindung ist abgezogen, einzelne Getriebe wirken für sich, Nebelsterne dringen aus der Tiefe zur Klarheit hervor, und es wird in uns eine Welt sichtbar, von der wir nicht ahndeten, dass sie in uns vorhanden sey.

Was sind dunkele Vorstellungen, Vorstellungen ohne Bewusstseyn? Chimären.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 114-5.

Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit ist das Vermögen der Seele, ihre Kraft willkührlich an den Gegenstand zu fesseln, der durch die Besonnenheit angemerkt und aus der Menge zum klaren Bewusstseyn ausgehoben ist.

Ihre Krankheiten sind denen gleich, die bey der Besonnenheit bereits angemerkt sind nemlich Zerstreuung und Vertiefung.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 110, 111.

Besonnenheit

Die Besonnenheit liegt also in der Mitte zwischen Zerstreuung und Vertiefung, beide Zustände sind Abweichungen von ihr nach verschiedenen Richtungen. Je weiter der Mensch von dem normalen Standpunkt in der Mitte sich entfernt, desto mehr ist er an dem einem Extrem vertieft, am andern zerstreut und an beiden Enden auf dem Wege zur Verrückung. Der Zerstreute irrt unter einer Menge von Gegenständen herum, ohne einen fest zu halten; der Vertiefte kann sich von dem Objekte nicht losreissen, das ihn gegenwärtig fesselt.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 109.