Digitaler Psychopolitik

Die Theorie ist ein Konstrukt, ein Hilfsmittel, das den Mangel an Daten ausgleicht. Wenn genug Daten vorhanden sind, so ist sie überflüssig. Die Möglichkeit aus Big Data Verhaltensmuster der Massen herauszulesen, läutet den Anfang der digitalen Psychopolitik ein.

Ha*
(Im Schwarm, S. 99)

Illusion der Freiheit

Die Bewohner des digitalen Panoptikums sind keine Gefangenen. Sie leben in der Illusion der Freiheit. Sie speisen das digitale Panoptikum mit Informationen, indem sie sich freiwillig ausstellen und ausleuchten. Die Selbstausleuchtung ist effizienter als die Fremdausleuchtung. Darin besteht eine Parallele zur Selbstausbeutung. Die Selbstausbeutung ist effizienter als die Fremdausbeutung, weil sie mit dem Gefühl der Freiheit einhergeht. In der Selbstausleuchtung fallen die pornografische Zurschaustellung und die panoptische Kontrolle ineins.

Ha*
(Im Schwarm, S. 92-3)

Transparenzgesellschaft und Überwachungsgesellschaft

Die Möglichkeit einer leichten und schnellen Informationsbeschaffung ist dem Vertrauen abträglich. Die heutige Vertrauenskrise ist so gesehen auch medial bedingt. Die digitale Vernetzung erleichtert die Informationsbeschaffung dermaßen, dass das Vertrauen als soziale Praxis immer mehr an Bedeutung verliert. Es weicht der Kontrolle. So hat die Transparenzgesellschaft eine strukturelle Nähe zur Überwachungsgesellschaft.

Ha*
(Im Schwarm, S. 91)

Informationsimmunsuppression

Eine heftige Immunabwehr drosselt die Kommunikation. Je niedriger die Immunschwelle ist, desto schneller wird der Informationskreislauf. Eine hohe Immunschwelle verlangsamt den Austausch von Informationen. Nicht immunologische Abwehr, sondern Gefällt-mir fördert die Kommunikation. Der schnelle Kreislauf von Informationen beschleunigt auch den Kreislauf von Kapital. So sorgt die Immunsuppression dafür, dass Massen von Informationen in uns eindringen, ohne auf Immunabwehr zu stoßen. Die niedrige Immunschwelle verstärkt den Konsum von Informationen. Die ungefilterte Informationsmasse lässt aber die Wahrnehmung ganz abstumpfen. Sie ist verantwortlich für manche psychische Störungen.

Ha*
(Im Schwarm, S. 77-8)


Die digitale Kommunikation nimmt nicht nur spektrale, sondern auch virale Form an. Sie ist insofern ansteckend, als sie unmittelbar auf emotiver oder affektiver Ebene erfolgt. Die Ansteckung ist eine posthermeneutische Kommunikation, die eigentlich nichts zu lesen oder zu denken gibt. Sie setzt keine Lektüre voraus, die sich nur begrenzt beschleunigen lässt. Eine Information oder ein Content, auch mit sehr geringer Signifikanz, breitet sich wie eine Epidemie oder Pandemie rasend im Netz aus. Keine Schwere des Sinns belastet sie. Kein anderes Medium ist zu dieser viralen Ansteckung fähig. Das Schriftmedium ist dafür zu träge.

Ha*
(Im Schwarm, S. 74)

Wahrheit und Transparenz

Auch die Wahrheit wirkt heute anachronistisch angesichts der Transparenz. Sie lebt von der Negativität der Exklusion. Mit der Wahrheit wird im gleichen Zug die Falschheit gesetzt. Eine Dezision bringt das Wahre und das Falsche gleichzeitig hervor. Auch die Dichotomie von Gut und Böse beruht auf dieser narrativen Struktur. Sie ist eine Erzählung. Im Gegensatz zur Wahrheit ist die Transparenz nicht narrativ.

Ha*
(Im Schwarm, S. 69)

Jägeroptik



Das Google Glass totalisiert die Jägeroptik, die alles ausblendet, was keine Beute, das heißt, keine Information verspricht. Das tiefere Glück der Wahrnehmung, des Sehens, aber besteht in deren Effizienzlosigkeit. Es entspricht dem langen Blick, der bei den Dingen verweilt, ohne sie auszubeuten.

Ha*
(Im Schwarm, S. 60)

Informationsmasse und Wahrheitsmasse

Die Information ist kumulativ und additiv, während die Wahrheit exklusiv und selektiv ist. Im Gegensatz zur Information bildet sie keinen Haufen. Man begegnet ihr nämlich nicht häufig. Es gibt keine Wahrheitsmasse. Informationsmasse hingegen gibt es. Ohne Negativität kommt es zu einer Vermassung des Positiven. Aufgrund ihrer Positivität unterscheidet sich die Information auch von Wissen. Das Wissen liegt einfach nicht vor. Man kann es nicht einfach vorfinden wie Information. Ihm geht nicht selten eine lange Erfahrung voraus. Es besitzt eine ganz andere Zeitlichkeit als die Information, die sehr kurz und kurzfristig ist. Die Information ist explizit, während das Wissen oft eine implizite Form annimmt.

Ha*
(Im Schwarm, S. 56)

Das Narrative und das Zählbare

Der digitale Mensch fingert in dem Sinne, dass er ständig zählt und rechnet. Das Digitale verabsolutiert die Zahl und das Zählen. Auch Facebook-Freunde werden vor allem gezählt. Die Freundschaft ist aber eine Erzählung. Das digitale Zeitalter totalisiert das Additive, das Zählen und das Zählbare. Sogar Zuneigungen werden in Form von Gefällt-mir gezählt. Das Narrative verliert massiv an Bedeutung. Heute wird alles zählbar gemacht, um es in die Sprache der Leistung und Effizienz umwandeln zu können. So hört heute alles, was nicht zählbar ist, auf zu sein.

Ha*
(Im Schwarm, S. 50-1)

Arbeitszeit



Die Muße beginnt dort, wo die Arbeit ganz aufhört. Die Zeit der Muße ist eine andere Zeit. Der neoliberale Imperativ der Leistung verwandelt die Zeit in Arbeitszeit. Er totalisiert die Arbeitszeit. Die Pause ist nur eine Phase der Arbeitszeit. Heute haben wir keine andere Zeit als die Arbeitszeit. So nehmen wir sie nicht nur in den Urlaub, sondern auch in den Schlaf mit. Daher schlafen wir heute unruhig. Die erschöpften Leistungssubjekte schlafen so ein wie das Bein einschläft. Auch die Entspannung ist insofern nicht mehr als ein Modus der Arbeit, als sie zur Regeneration der Arbeitskraft dient. Die Erholung ist nicht das Andere der Arbeit, sondern deren Produkt.

Ha*
(Im Schwarm, S. 48-9)

Zähmung der Bilder



Die Bilder, die als Abbilder eine optimierte Realität darstellen, vernichten gerade den ursprünglichen ikonischen Wert des Bildes. Sie werden in Geiselschaft genommen durch das Reale. Daher sind wir heute trotz oder gerade wegen der Bilderflut ikonoklastisch. Die konsumierbar gemachten Bilder zerstören die besondere Semantik und Poetik des Bildes, das mehr ist als bloßes Abbild des Realen. Die Bilder werden gezähmt, indem sie konsumierbar gemacht werden. Diese Zähmung der Bilder bringt ihre Verrücktheit zum Verschwinden. So werden sie um ihre Wahrheit gebracht.

Ha*
(Im Schwarm, S. 41)

Smartphone



Das Smartphone ist ein digitaler Apparat, der mit einem komplexitätarmen Input-Output-Modus arbeitet. Es tilgt jede Form der Negativität. Dadurch verlernt man, auf eine komplexe Art zu Denken. Es lässt auch Verhaltensformen verkümmern die eine temporale Weite oder Weitsichtigkeit erfordern. Es fördert die Kurzfristigkeit und die Kurzsichtigkeit und blendet das Lange und das Langsame aus. Das lückenlose Gefällt-mir erzeugt einen Raum der Positivität Aufgrund ihrer Negativität unterbricht die Erfahrung als Einbruch des Anderen die imaginäre Selbstbespiegelung. Die Positivität, die dem Digitalen innewohnt, reduziert die Möglichkeit einer solchen Erfahrung.

Ha*
(Im Schwarm, S. 35)

Literarische Krise

»Seit zehn oder zwanzig Jahren passiert beinahe nichts mehr in der Literatur. Es gibt eine Flut von Veröffentlichungen, aber einen geistigen Stillstand. Die Ursache ist eine Krise der Kommunikation. Die neuen Kommunikationsmittel sind bewundernswert, aber sie verursachen einen ungeheuren Lärm.« [So Butor]. Das Medium des Geistes ist die Stille. Offenbar zerstört die digitale Kommunikation die Stille. Das Additive, das den kommunikativen Lärm ausmacht, ist nicht die Gangart des Geistes.

Ha*
(Im Schwarm, S. 32)

Politik ohne Zukunft

»ich bin meine Wählerschaft« bedeutet das Ende des Politikers im emphatischen Sinne, nämlich jenes Politikers, der auf seinem eigenen Standpunkt beharrt und, statt mit der Wählerschaft konform zu gehen, ihr mit einer Vision vorausgeht. Die Zukunft als Zeit des Politischen verschwindet.

Wird alles sofort öffentlich, so wird die Politik unausweichlich kurzatmig, kurzfristig und verdünnt sich zu Geschwätzigkeit.

Ha*
(Im Schwarm, S. 29)

Journalisten, Priester, Politiker

Jeder produziert und sendet Information. Die Entmediatisierung der Kommunikation lässt die Journalisten, diese ehemals elitären Repräsentanten, diese »Meinungsmacher« ja die Priester der Meinung, gar als überflüssig und anachronistisch erscheinen. Das digitale Medium schafft jede Priesterklasse ab. Die allgemeine Entmediatisierung beendet die Epoche der Repräsentation.

Ha*
(Im Schwarm, S. 27-8)

Radio



Elektronische Medien wie das Radio versammeln Menschen, während die digitalen Medien sie vereinzeln.

Ha*
(Im Schwarm, S. 21)

Ein anonymer Jemand

Der homo digitalis ist alles andere als »Niemand«. Er behält seine private Identität, selbst wenn er als Teil des Schwarms auftritt. Er äußert sich zwar anonym, aber in der Regel hat er ein Profil und arbeitet unaufhörlich an seiner Optimierung. Statt »Niemand« zu sein, ist er penetrant Jemand, der sich ausstellt und um Aufmerksamkeit buhlt. Der massenmediale Niemand dagegen beansprucht für sich selbst keine Aufmerksamkeit. Seine private Identität ist ausgelöscht. Er geht in der Masse auf. Darin besteht sein Glück. Er kann ja nicht anonym sein, weil er ein Niemand ist. Der homo digitalis dagegen tritt zwar oft anonym auf, aber er ist kein Niemand, sondern ein Jemand, nämlich ein anonymer Jemand.

Ha*
(Im Schwarm, S. 20-1)

Wellen


















Es ist bekannt, dass Schmitt Zeitlebens Angst vor Wellen hatte.

Aus Angst vor Wellen soll Schmitt auch Radio und Fernseher aus seinem Haus entfernt haben.

Ha*
(Im Schwarm, S. 13)

Distanzlosigkeit

Die Distanznahme ist konstitutiv für den öffentlichen Raum. Heute herrscht dagegen eine totale Distanzlosigkeit, in der die Intimität öffentlich ausgestellt wird und das Private öffentlich wird. Ohne Ab-Stand ist auch kein An-Stand möglich. Auch der Ver-Stand setzt einen distanzierten Blick voraus.

Ha*
(Im Schwarm, S. 7-8)

Skandalgesellschaft

Respekt heißt wörtlich Zurückblicken. Er ist eine Rücksicht. Eine Gesellschaft ohne Respekt, ohne Pathos der Distanz führt in die Skandalgesellschaft.

Ha*
(Im Schwarm, S. 7)