Existenzialien und Kategorien

Alle Explikate, die der Analytik des Daseins entspringen, sind gewonnen in Hinblick auf seine Existenzstruktur. Weil sie sich aus der Existenzialität bestimmen, nennen wir die Seinscharaktere des Daseins Existenzialien. Sie sind scharf zu trennen von den Seinsbestimmungen des nicht daseinsmäßen Seienden, die wir Kategorien nennen.

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(Sein und Zeit, S. 44).

Das ontische Zunächst

Und weil nun die durchschnittliche Alltäglichkeit das ontische Zunächst dieses Seienden ausmacht, wurde sie und wird sie immer wieder in der Explikation des Daseins übersprungen. Das ontische Nächste und Bekannte ist das ontologisch Fernste, Unerkannte und in seiner ontologischen Bedeutung ständig Übersehene.

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(Sein und Zeit, S. 43).

Dasein ist je meines

Das Sein, darum es diesem Seienden in seinem Sein geht, ist je meines. Dasein ist daher nie ontologisch zu fassen als Fall und Exemplar einer Gattung von Seiendem als Vorhandenem.

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(Sein und Zeit, S. 42).

Das »Wesen« des Daseins

Das »Wesen« des Daseins liegt in seiner Existenz. Die an diesem Seienden herausstellbaren Charaktere sind daher nicht vorhandene »Eigenschaften« eines so und so »aussehenden« vorhandenen Seienden, sondern je ihm mögliche Weisen zu sein und nur das. Alles Sosein dieses Seienden ist primär Sein. Daher drückt der Titel »Dasein«, mit dem wir dieses Seiende bezeichnen, nicht sein Was aus, wie Tisch, Haus, Baum, sondern das Sein.

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(Sein und Zeit, S. 42).

Phänomenologie und Ontologie

Ontologie und Phänomenologie sind nicht zwei verschiedene Disziplinen neben anderen zur Philosophie gehörigen. Die beiden Titel charakterisieren die Philosophie selbst nach Gegenstand und Behandlungsart. Philosophie ist universale phänomenologische Ontologie, ausgehend von der Hermeneutik des Daseins, die als Analytik der Existenz das Ende des Leitfadens alles philosophischen Fragens dort festgemacht hat, woraus es entspringt und wohin es zurückschlägt.

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(Sein und Zeit, S. 38).

Ontologie ist nur als Phänomenologie möglich.

Phänomenologie ist Zugangsart zu dem und die ausweisende Bestimmungsart dessen, was Thema der Ontologie werden soll. Ontologie ist nur als Phänomenologie möglich. Der phänomenlogische Begriff von Phänomen meint als das Sichzeigende das Sein des Seienden, seinen Sinn, seine Modifikationen und Derivate. Und das Sichzeigen ist kein beliebiges noch gar so etwas wie Erscheinen. Das Sein des Seienden kann am wenigsten je so etwas sein, »dahinter« noch etwas steht, »was nicht erscheint«

»Hinter« den Phänomenen der Phänomenologie steht wesenhaft nichts anderes, wohl aber kann das, was Phänomen werden soll, verborgen sein. Und gerade deshalb, weil die Phänomene zunächst und zumeist nicht gegeben sind, bedarf es der Phänomenologie. Verdecktheit ist der Gegenbegriff zu »Phänomen.

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(Sein und Zeit, S. 35-6).

»Wahr« im griechischen Sinne

»Wahr« ist im griechischen Sinne und zwar ursprünglicher als der genannte λογος die αισθησις, das schlichte, sinnliche Vernehmen von etwas.

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(Sein und Zeit, S. 33).

Etwas als etwas sehen lassen

Und nur weil die Funktion des λογος als αποφανσις im aufweisenden Sehenlassen von etwas liegt, kann der λογος die Strukturform der συνθεσις haben. Synthesis sagt hier nicht Verbinden und Verknüpfen von Vorstellungen, Hantieren mit psychischen Vorkommnissen, bezüglich welcher Verbindungen dann das »Problem« entstehen soll, wie sie als Inneres mit dem Physischen draußen übereinstimmen. Das συν hat hier rein apophantische Bedeutung und besagt: etwas in seinem Beisammen mit etwas, als etwas sehen lassen.

H***
(Sein und Zeit, S. 33).

Struktur des λογος als αποφανσις

λογος als Rede besagt vielmehr soviel wie δηλουν, offenbar machen das, wovon in der Rede »die Rede« ist. (...). Die Rede »läßt sehen« απο... von dem selbst her, wovon die Rede ist. In der Rede (αποφανσις) soll, sofern sie echt ist, das, was geredet ist, aus dem, worüber geredet wird, geschöpft sein, so daß die redende Mitteilung in ihrem Gesagten das, worüber sie redet, offenbar und so dem anderen zugänglich macht. Das ist die Struktur des λογος als αποφανσις.

H***
(Sein und Zeit, S. 32).

Das Sich-an-ihm-selbst-zeigen

Phänomen — das Sich-an-ihm-selbst-zeigen — bedeutet eine ausgezeichnete Begegnisart von etwas. Erscheinung dagegen meint einen seienden Verweisungsbezug im Seienden selbst, so zwar, daß das Verweisende (Meldende) seiner möglichen Funktion nur genügen kann, wenn es sich an ihm selbst zeigt, »Phänomen« ist. Erscheinung und Schein sind selbst in verschiedener Weise im Phänomen fundiert. Die verwirrende Mannigfaltigkeit der »Phänomene«, die mit den Titeln Phänomen, Schein, Erscheinung, bloße Erscheinung genannt werden, läßt sich nur entwirren, wenn von Anfang an der Begriff von Phänomen verstanden ist: das Sich-an-ihm-selbst-zeigende.

H***
(Sein und Zeit, S. 31).

Die phänomenologische Methode

Mit der leitenden Frage nach dem Sinn des Seins steht die Untersuchung bei der Fundamentalfrage der Philosophie überhaupt. Die Behandlungsart dieser Frage ist die phänomenologische. Damit verschreibt sich diese Abhandlung weder einem »Standpunkt«, noch einer »Richtung«, weil Phänomenologie keines von beiden ist und nie werden kann, solange sie sich selbst versteht. Der Ausdruck »Phänomenologie« bedeutet primär ein Methodenbegriff.

H***
(Sein und Zeit, S. 27).

Destruktion der Ontologie

Soll für die Seinsfrage selbst die Durchsichtigkeit ihrer eigenen Geschichte gewonnen werden, dann bedarf es der Auflockerung der verhärteten Tradition und der Ablösung der durch sie gezeitigten Verdeckungen. Diese Aufgabe verstehen wir als die am Leitfaden der Seinsfrage sich vollziehende Destruktion des überlieferten Bestandes der antiken Ontologie auf die ursprünglichen Erfahrungen, in denen die ersten und fortan leitenden Bestimmungen des Seins gewonnen wurden.

H***
(Sein und Zeit, S. 22).

Die Tradition entwurzelt

Die Tradtion entwurzelt die Geschichtlichkeit des Daseins so weit, daß es sich nur noch im Interesse an der Vielgestaltigkeit möglicher Type, Richtungen, Standpunkte des Philosophierens in dem entlegensten und fremdesten Kulturen bewegt und mit diesem Interesse die eigene Bodenlosigkeit zu verhüllen sucht. Die Folge wird, daß das Dasein bei allem historischen Interesse und allem Eifer für eine philologisch »sachliche« Interpretation die elementarsten Bedingungen nicht mehr versteht, die einen positiven Rückgang zur Vergangenheit im Sinne einer produktiven Aneignung ihrer allein ermöglicht.

H***
(Sein und Zeit, S. 21).

Die historische Frage

Die Frage nach dem Sinn des Seins ist gemäß der ihr zugehörigen Vollzugsart, d.h. als vorgängige Explikation des Daseins in seiner Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit, von ihr selbst dazu gebracht, sich als historische zu verstehen.

H***
(Sein und Zeit, S. 21).
Auch das »Unzeitliche« und »Überzeitliche« ist hinsichtlich seines Seins »zeitlich«. Und das wiederum nicht nur in der Weise einer Privation gegen ein »Zeitliches« als »in der Zeit« Seiendes, sondern in einem positiven, allerdings erst zu klärenden Sinne.

H***
(Sein und Zeit, S. 18-9).

Ontologische Funktion der Zeit

Zeit, im Sinne von »in der Zeit sein«, fungiert als Kriterium der Scheidung von Seinsregionen. Wie die Zeit zu dieser ausgezeichneten ontologischen Funktion kommt und gar mit welchem Recht gerade so etwas wie Zeit als solches Kriterium fungiert und vollends, ob in dieser naiv ontologischen Verwendung der Zeit ihre eigentliche mögliche ontlogische Relevanz zum Ausdruck kommt, ist bislang weder gefragt, noch untersucht worden.

H***
(Sein und Zeit, S. 18).

Der Horizont alles Seinsverständnisses

Andeutungsweise wurde gezeigt: zum Dasein gehört als ontische Verfassung ein vorontologisches Sein. Dasein ist in der Weise, seiend so etwas wie Sein zu verstehen. Unter Festhaltung dieses Zusammenhangs soll gezeigt werden, daß das, von wo aus Dasein überhaupt so etwas wie Sein unausdrücklich versteht und auslegt, die Zeit ist. Diese muß als der Horizont alles Seinsverständnisses und jeder Seinsauslegung ans Licht gebracht und genuin begriffen werden. Um das einsichtig werden zu lassen, bedarf es einer unsprünglichen Explikation der Zeit als Horizont des Seinsverständnisses aus der Zeitlichkeit als Sein des seinverstehenden Daseins.

H***
(Sein und Zeit, S. 17).

Doch nicht fremd

Der ontisch-ontologische Vorrang des Daseins ist daher der Grund dafür, daß dem Dasein seine spezifische Seinsverfassung — verstanden im Sinne der ihm zugehörigen »kategorialen« Struktur — verdeckt bleibt. Dasein ist ihm selbst ontisch »am nächsten«, ontologisch am fernsten, aber vorontologisch doch nicht fremd.

H***
(Sein und Zeit, S. 16).

Ontologische Rückstrahlung

Dasein ist zwar ontisch nicht nur nahe oder gar das nächste — wir sind es sogar je selbst. Trotzdem oder gerade deshalb ist es ontologisch das Fernste. Zwar gehört zu seinem eigensten Sein, ein Verständnis davon zu haben und sich je schon in einer gewissen Ausgelegtheit seines Seins zu halten. Aber damit ist ganz und gar nicht gesagt, es könne diese nächste vorontologische Seinsauslegung seiner selbst als angemessener Leitfaden übernommen werden, gleich als ob dieses Seinsverständnis einer thematisch ontologischen Besinnung auf die eigenste Seinsverfassung entspringen müßte. Das Dasein hat vielmehr gemäß einer zu ihm gehörigen Seinsart die Tendenz, das eigene Sein aus dem Seienden her zu verstehen, zu dem es sich wesenhaft ständig und zunächst verhält, aus der »Welt«. Im Dasein selbst und damit in seinem eigenen Seinsverständnis liegt das, was wir als die ontologische Rückstrahlung des Weltverständnisses auf die Daseinsauslegung aufweisen werden.

H***
(Sein und Zeit, S. 15-6).

η ψυχη τα οντα πως εστιν

Der ontisch-ontologische Vorrang des Daseins wurde schon früh gesehen, ohne daß dabei das Dasein selbst in seiner genuinen ontologischen Struktur zur Erfassung kam oder auch nur dahinzielendes Problem wurde. Aristoteles sagt: η ψυχη τα οντα πως εστιν. Die Seele des Menschen ist in gewisser Weise das Seiende; Die »Seele«, die das Sein des Menschen ausmacht, entdeckt in ihren Weisen zu sein, αισθησις und νοησις, alles Seiende hinsichtlich seines Daß- und So-seins, d.h. immer auch in seinem Sein.

H***
(Sein und Zeit, S. 14).

Vorrang des Daseins

Das Dasein hat sonach einen mehrfachen Vorrang vor allem anderen Seienden. Der erste Vorrang ist ein ontischer: dieses Seiende ist in seinem Sein durch Existenz bestimmt. Der zweite Vorrang ist ein ontologischer: Dasein ist auf dem Grunde seiner Existenzbestimmtheit an ihm selbst »ontologisch«. Dem Dasein gehört nun aber gleichursprünglich — als Konstituens des Existenzverständnisses — zu: ein Verstehen des Seins alles nicht daseinsmäßen Seienden. Das Dasein hat daher den dritten Vorrang, als ontisch-ontologische Bedingung der Möglichkeit aller Ontologien. Das Dasein hat sich so als das vor allem anderen Seienden ontologisch primär zu Befragende erwiesen.

H***
(Sein und Zeit, S. 13).

Die ontische Auszeichnung des Daseins liegt darin, daß es ontologisch ist

Das Dasein ist ein Seiendes, das nicht nur unter anderem Seienden vorkommt. Es ist vielmehr dadurch ontisch ausgezeichnet, daß es diesem Seienden in seinem Sein um dieses Sein selbst geht. Zu dieser Seinsverfassung des Daseins gehört aber dann, daß es in seinem Sein zu diesem Sein ein Seinsverhältnis hat. Und dies wiederum besagt: Dasein versteht sich in irgendeiner Weise und Ausdrücklichkeit in seinem Sein. Diesem Seienden eignet, daß mit und durch sein Sein dieses ihm selbst erschlossen ist. Seinsverständnis ist selbst eine Seinsbestimmtheit des Daseins. Die ontische Auszeichnung des Daseins liegt darin, daß es ontologisch ist.

H***
(Sein und Zeit, S. 12).

Ontologie

Alle Ontologie, mag sie über ein noch so reiches und festverklammertes Kategoriensystem verfügen, bleibt im Grunde blind und eine Verkehrung ihrer eigensten Absicht, wenn sie nicht zuvor den Sinn von Sein zureichend geklärt und diese Klärung als ihre Fundamentalaufgabe begriffen hat.

H***
(Sein und Zeit, S. 11).

Kein Zirkel im Beweis

Ein »Zirkel im Beweis« kann in der Fragestellung nach dem Sinn des Seins überhaupt nicht liegen, weil es in der Beantwortung der Frage nicht um eine ableitende Begründung, sondern um aufweisende Grund-Freilegung geht.

H***
(Sein und Zeit, S. 8).

Die Seinsmöglichkeit des Fragens

Das Fragen dieser Frage ist als Seinsmodus eines Seienden selbst von dem her wesenhaft bestimmt, wonach in ihm gefragt ist — vom Sein. Dieses Seiende, das wir selbst je sind und das unter anderem die Seinsmöglichkeit des Fragens hat, fassen wir terminologisch als Dasein.

H***
(Sein und Zeit, S. 7).

Das Gefragte der Frage

Das Gefragte der auszuarbeitenden Frage ist das Sein, das, was Seiendes als Seiendes bestimmt, das, woraufhin Seiendes, mag es wie immer erörtert werden, je schon verstanden ist. Das Sein des Seienden »ist« nicht selbst ein Seiendes.

H***
(Sein und Zeit, S. 6).