Die Irre .2

Daß das Wesen der Wahrheit des Seyns Irre ist, hat zu Wesensfolge, daß jegliches Seiende, das ins Offene hereinsteht und zur Verwahrung dieses Offenen werden kann, je auch zugleich in der Un-wahrheit und zwar in dem gedoppelten Sinne der Verborgenheit und der Verstellung steht.

H***
(Besinnung, S. 259)

Die Irre .1

Die einfachste Erfahrung des Denkens, Jenes, wohin es sich gewiesen sieht, wenn es den Anhalt am Seienden und die Zuflucht in die Seiendheit aufgegeben hat, ist die Irre und das Irren in ihr. Diese Irre selbst ist die Lichtung (Offenheit — Wahrheit) des Seyns. Die Irre setzt sich der Wahrheit nicht entgegen, sie wird durch diese auch nicht aufgehoben und zum Verschwinden gebracht, sondern ist das Erscheinen der Wahrheit selbst in ihrem eigenen Wesen. Die Irre, worin die jeweilige Auslegung des Seyns sich verirren muß, welche Verirrung aber allein die Lichtung der Verweigerung wahrhaft, d.h. der Lichtung des Gelichteten gemäß, durchmißt.

H***
(Besinnung, S. 259)

Der Untergang .2

Was verbirgt der Anfang, indem er sich verbirgt? Seinen — den in ihm als entschieden bereitgehaltenen — Untergang.

H***
(Besinnung, S. 253)

Der Untergang .1

Alles Anfängliche fängt mit dem Untergang an.

H***
(Besinnung, S. 253)
Die noch nicht aufgefangenen Zeichen der Geworfenheit in das Da-sein winken zuerst in der Befremdung, die sich über das Bekannteste, Nächste, Üblichste legt und dessen vorgehaltene Sicherheit entschleiert als die Betreibung eines Vergessens des Seyns.

H***
(Besinnung, S. 252)

Ent-setzen

Gemäß dem Anfang und Untergang und Gang der Geschichte des Seyns im Zeitalter der Metaphysik und der hier geschehenen Entmachtung des Seyns und Zerstörung des Wahrheitswesens kann das Seyn nur sein Offenes sich ereignen, wenn die Gründerschaft für dieses, d.h. der nachmetaphysische Mensch, durch eine vom Seyn angestimmte Grundstimmung aller Verhaftung an das nur Seiende entrissen wird. Diese Grundstimmung ist das Ent-setzen.

H***
(Besinnung, S. 250)

Vergötterung der »Kausalität« als »Kausalität«

Der christlich-jüdische Gott ist die Vergötterung nicht irgend einer besonderen Ursache einer Bewirkung, sondern die Vergötterung des Ursacheseins als solchen, des Grundes des erklärenden Vorstellens überhaupt. In dieser feinsten Vergötterung der »Kausalität« als »Kausalität« liegt der Grund für den Anschein der überlegenen Geistigkeit des christlichen Gottes. In Wahrheit aber ist diese Vergötterung die Verklärung des grobsten Erklärens.

H***
(Besinnung, S. 240)

Entgötterung

Die Entgötterung ist das unausbleibliche Gegenspiel der Erklärung der Gottschaft der Götter, d.h. ihrer Herleitung aus einer Vergötterung.

H***
(Besinnung, S. 239)

Vergötterung

Nur wo das Erklären und die Verklärung herrschen, wo das Seiende sich in die Seiendheit des Vorstelligen vorgedrängt hat, kann die Meinung entstehen, die Götter seien das Ergebnis einer Vergötterung, sei es der »Natur«, sei es menschlicher (animal rationale) Triebe und Kräfte.

H***
(Besinnung, S. 239)

»lebensnahe Wirklichkeit«

Die andere Möglichkeit aber ist die: Ob das Seiende in den Fesseln und Geläufigkeiten der bisherigen historische immer unentwirrbarer durcheinandergemischten Seiendheit verharrt und eine völlige Entscheidungslosigkeit erzwingt. Ob im Raume dieser dann Seiendes auf Seiendes in immer neuen Einrichtungen und immer schnellerer Beherrschbarkeit sich türmt, ob im Schein des sich steigernden »Lebens« so ein Seiendes das andere jagt und ablöst und über allem der Dunst der erfolgsicheren und geltungsdürftigen Vergnüglichkeit lagert, bis das Ende dieser Herrschaft des Seienden (der »lebensnahen Wirklichkeit«) endlos geworden ist.

H***
(Besinnung, S. 230)

Der Er-eignete einer Er-eignung

Die Seinsvergessenheit kann der Mensch daher auch nie beseitigen; auch wenn er das Fragwürdigste der Frage nach seiner Wahrheit würdigt und gerade dann bestätigt er, daß er der Er-eignete einer Er-eignung sein muß, die Verweigerung bleibt und die Zukehr zum Seienden und die Inständigkeit in ihm fordert und damit wieder ein Vergessen des Seins, das durch das Erfragen des Seyns nicht abgemindert, sonder nur in seiner Unheimlichkeit erwiesen wird.

H***
(Besinnung, S. 219)

Entwurfsgründung der Wahrheit

Denken im betonten Sinne des denkerischen Denkens ist Entwurfsgründung der Wahrheit des Seyns: Inständigkeit im Ausstehen der Wächterschaft dieser Wahrheit. Denken ist nicht mehr das Vor-stellen des Seienden im Allgemeinen. Denken ist vollends nicht Werkzeug, das gebraucht wird, um ein Anderes zu bewerkstelligen, etwa eine Schau und Geschautes auf einen »Begriff« zu bringen.

H***
(Besinnung, S. 211)

Seynsgeschichtliches Denken .3

Was das seynsgeschichtliche Denken er-denkt, ist zuerst das Da-sein, sofern solches Denken für den Abgrund des Seyns einen Grund zu gründen bestimmt ist. Das Da-sein jedoch ist nicht der Mensch, sondern Jenes, wodurch die Entmenschung des Menschen (die Überwindung des historischen Tieres) ermöglicht wird, da es der Ausgesetztheit des Menschen in das Seiende zuvor erst die Stätte bietet.

H***
(Besinnung, S. 210)

Seynsgeschichtliches Denken .2

Das seynsgeschichtliche Denken des Seyns ist vom Seyn als das ihm ganz Fremde er-eignet und in die Wahrheit des Seyns zu deren Gründung gewiesen. Das Seyn ist nie Gegenstand, sondern das Er-eignis, in dessen zu ihm gehöriger Lichtung das Denken inständig wird.

H***
(Besinnung, S. 210)

Seynsgeschichtliches Denken .1

Das Seyn selbst er-eignet das Denken in die Geschichte des Seyns, in Jenes, daß das Seyn Er-eignis ist. So wird das Denken zum seynsgeschichtlichen. Das Denken »des« Seyns läßt weder das Sein als allgemeinste Bestimmtheit des Vorstellbaren, d.h. Unbestimmtheit, aus dem Denken als Subjektum hervorkommen und so zum Gegenstand (»Objekt«) für dieses werden (der Genitiv in der Wortverbindung »Denken des Seyns« ist kein »objektiver«). Noch aber ist das Seyn selbst das Denkende, d.h. die Wirklichkeit, die sich als Vernunft bestimmt hat und als Geist, um das Denken in sich als dem Zugrundeliegenden (Subjectum) zu vollziehen als die Weise seiner Selbstverwirklichung (der Genitiv ist auch kein »subjektiver«).

H***
(Besinnung, S. 209-210)

Notwendigkeit des Denkens

Das Denken kehrt erst als Erdenken der Wahrheit des Seyns in seine eigenste Notwendigkeit zurück.

H***
(Besinnung, S. 209)

Philosophie und Kultur

Die Eingliederung der Philosophie in die »Kultur« kennzeichnet den Endzustand der Metaphysik, sofern in diesem das Unwesen über das Wesen Herr geworden und eine mögliche Verwandlung des Wesens damit zunichte gemacht ist.

H***
(Besinnung, S. 209)

Das Seyn und das Seiende

Aber das Seyn läßt nie im Seienden eine Spur. Das Seyn ist das Spurlose, niemals als ein Seiendes unter solchem zu finden, höchstens in seinem anfänglichen Schein — im Sein als Seiendheit. Wie aber kommt dann das Seiende zu diesem Namen des Seins (d.h. der Seiendheit)?

Weil es (was »ist« es denn?) in den Umkreis der Lichtung des Seyns kommt, die Lichtung aber nur als das Offene der Er-eignung west.

Dieses »Kommen« in die Lichtung geschieht mit dem Er-eignis. Die Lichtung ist nicht vorhanden — gleichsam als Leere, in die nachmals je das Seiende einströmt —, sondern die Lichtung bricht in Jenes ein, was dadurch erst »Jenes« wird und als »Seiendes« an- und abwesen kann.

H***
(Besinnung, S. 202)

Befremdlich nicht nur...

Befremdlich nicht nur, sondern überhaupt unbedacht und ungefragt bleibt, daß nur das Seyn ist — und das Sein als Seiendheit sein anfänglicher und notwendiger Schein, innerhalb dessen das, was wir das Seiende nennen, den Anschein des eigentlich »Seienden«, des Wirklichen, dessen, was »ist«, sich anmaßen kann.

H***
(Besinnung, S. 201)

»das Leben«

Sofern das metaphysische Denken — gründend im Nichtfesthaltenkönnen des ersten denkerischen Anfangs — den Macht-, Kraft- und Wirkungscharakter des Seienden für das Sein ausgab, konnte es geschehen, daß »das Leben« als das eigentlich »Wirkliche« und Seiende sich vordrängte und das »Opfer« des »Erlebens« fordert als des vermeintlichen höchsten Menschseins, das sich daher auch nicht als Opfer und Mitläufer der Seinverlassenheit des Seienden erfährt, sondern als »siegenden« Jasager zum »Leben«.

H***
(Besinnung, S. 191-2)

Der Anfang einer ursprünglichen Geschichte

In der Geschichte des Menschen kommt jetzt erst die Seinsvergessenheit zur vollen Machtstellung. Wie aber, wenn diese Verlassenheit des Seienden vom Sein der Anfang wäre einer ursprünglichen Geschichte, in der das Sein Seyn ist, so daß immer wirklichere Wirkliche immer aussichtsloser vom Sein verstoßen würde, vom Seyn als Verweigerung, der keine Macht und Übermacht gewachsen sein könnte, weil sie notwendig das Wesen des von Grund aus Macht-losen für immer verkennen müssen. Das Machtlose kann nie entmachtet werden. Das aber hängt ihm nicht als Mangel an, sondern ist nur die eine, ihm nicht einmal nötige und gemäße Folge seines Adels. Alles Mächtige als das Wirkliche, sei es das leblos Stoffliche oder der absolute Geist, ist das Niedrige, so niedrig, daß es zum Sein nicht einmal in diesen Vergleich gerückt werden darf.

H***
(Besinnung, S. 190-1)

Die Historie

Nur was historisch ist, kann auch unhistorisch sein. Das Unhistorische bleibt wesentlich verschieden von dem, was historielos, weil geschichtslos ist, wie z.B. das Tier und alles »Leben«.

Die Geschichtlichkeit des Menschentums aber gründet im Ereignis-Charakter des Seyns. Deshalb ist je nach der Zugehörigkeit zum Sein (Seinsvergessenheit oder Gründerschaft der Wahrheit des Seins) die Geschichtlichkeit des Menschen (nicht erst seine Geschichte) eine verschiedene. Deshalb kann die schrankenlose Herrschaft des historischen Tieres zusammengehen mit der Ungeschichtlichkeit des Menschentums, einer Seinsart, der das neuzeitliche Menschenwesen immer eigenwilliger zutreibt.

H***
(Besinnung, S. 182)

Die Technik .2

Die Technik enthält und richtet in die unbedingte Herrschaft ein die längst gefallene Entscheidung über das Wesen der Wahrheit als Sicherheit und über das Wesen des Seins als Machenschaft. Die Sicherung der Machenschaft ist das Gemächte der Herrschaft der Wahrheit als Sicherheit des Gegen- und Zu-ständlichen. Die Technik ist der höchste und umfangreichste Triumph der abendländischen Metaphysik, sie ist diese selbst in ihrer Ausbreitung durch das Seiende im Ganzen.

H***
(Besinnung, S. 175-6)

Die Technik .1

Technik ist die Herstellung des Seienden selbst (der Natur und der Geschichte) in die berechenbare Machbarkeit, die Machsamkeit durchmachtende Machenschaft. Aber die Machenschaft als Wesung des Seins zeitigt die Technik; deren Betreibung ist dem Willen und Unwillen des Menschen entzogen, sofern der Mensch im Wesen als »Subjektum« entschieden ist; die Subjektivität des Menschentums gestaltet sich am reinsten in den Nationen; die Gemeinschaft einer Nation treibt die Vereinzelung des Menschen in die Subjektivität auf die Spitze.

H***
(Besinnung, S. 173)