Die genealogische Perspektive

Wer die genealogische Perspektive einnimmt, macht eo ipso ein Zugeständnis an den Verdacht, die fragliche Sache besitze ihres vornehmen Auftretens zum Trotz einen ererbten Makel. In unserem Fall lautet die kritische Hypothese: Wäre es wohl möglich, daß der wirkliche Anfang der Wissenschaften gar nicht im Staunen liege, wie die Alten so gern behaupteten, in der Annahme, wer sich auf diesen als vornehm geltenden Affekt berufe, sei vor weiteren Überprüfungen sicher? (...) Wie, wenn die vielgepriesenen theoretischen Tugenden in Wahrheit von verhohlenen Schwächen abstammten? Wenn sie auf dubiösen Kompensationen hartnäckiger Defekte beruhten oder gar auf der morbiden Unfähigkeit, den Tatsachen des Lebens ohne Beschönigungen und Ausflüchte Rechnung zu tragen?

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(Scheintod im Denken, S.61-2)

Platons Akademia .2

archeological site of Plato's Academy

Platons Akademia

Nichts anderes ist die ursprüngliche Akademie, als eine raumschöpferische Innovation gewürdigt: Sie stellt eine vorbildlos neue Institution zur Beherbergung der Absencen dar, die bei der Suche nach dem noch weitgehend unbekannten Zusammenhang zwischen Ideen auftreten — und, warum auch nicht, beim Studium des Zusammenhangs zwischen den Wörtern und den Dingen, der, wenn man es recht bedenkt, nur problematisch sein kann. Die Akademie ist das architektonische Äquivalent zu dem, was Husserl als epoché apostrophiert hatte — ein Haus zur Weltausschaltung und zur Sorgeneinklammerung, ein Asyl für die rätselhafte Gäste, die wir die Ideen und Theoreme nennen.

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(Scheintod im Denken, S.56)

Sokratische Absencen

Offenkundig bilden die Gedanken untereinander ein so dichten Zusammenhang, daß sie das Bewußtsein des Denkenden beschlagnahmen und seine Bindung an die Wahrnehmung der Umstände unterbrechen. Das scheint zu besagen: Im wirklichen Denken gehören die Gedanken enger zu ihren Mitgedanken als der Denker zu seiner Mitwelt. Wer diese Erfahrung in actu erlebt, wird aus der alltäglichen Beziehung auf die Umstände entwurzelt und ganz von »internen« Operationen absorbiert.

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(Scheintod im Denken, S.49)

Entwurf einer allgemeinen Vernunftpathologie

Die allgemeine Vernunftpathologie, die auf der Linie des späten Husserls zu postulieren wäre, wurde bis heute nicht geschrieben. Sie würde wahrscheinlich drei Hauptteile enthalten müssen: eine Vernunftneurosenlehre in Form einer Phänomenologie der Ideologien, der Phantasmen, der Delirien (hiervon liegen einige halbwegs brauchbaren Abschnitte vor, die nach zeitgemäßer Revision in die Endfassung übernommen werden könnten); eine Lehre von den erworbenen Fehlhaltungen des Geistes (wie sie unter anderem in den Arbeiten der Kieler neo-phänomenologischen Schule entwickelt wurde); und eine Kritik der engagierten Vernunft, einschließlich eine Pathologie des Radikalismus — die trotz zahlreicher Versuche zum »Fanatismus«, zum »Totalitarismus«, zum »Fundamentalismus« und dergleichen über das Stadium von Notizen noch nicht hinausgelangt scheint.

Sl***
(Scheintod im Denken, S.47)

Alle Vernunftkrankheiten sind Lebensweltverfehlungen.

Indem Husserl zuletzt an die lebensweltliche Fundierung — wir würden heute eher die situative »Einbettung« sagen — alles Denkens erinnerte, gab er zu Protokoll: Es existiert eine Welt, über der man nicht stehen soll. Die wirkliche Welt ist mehr als bloß ein Beispiel für mögliche Welten. Sie »transzendieren« zu wollen liegt außerhalb dessen, was Menschen wünschen sollten, besonnens Zugehörens zu ihr würde genügen. Alle Vernunftkrankheiten sind Lebensweltverfehlungen.

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(Scheintod im Denken, S.46-7)

Husserls rein schauendes Verhalten

Husserls gesamte Lebensanstrengung gilt der Wiederherstellung eines kontemplativen modus vivendi, der in einem entsprechenden modus cogitandi fundiert sein soll. (...). Da aber alles wirkliche Leben in »natürlicher Einstellung« nach Husserls Auffassung immer schon »Stellungnehmen« bedeutet und somit Eingemischtsein in Lebensprobleme und Fesselung an die Galeeren der Alltäglichkeit impliziert, hängt die Entscheidung über die Möglichkeit von schauendem, sogar »rein schauendem« Verhalten ganz allein an dem Nachweis, daß es gelingt, dem Fluch des Stellungnehmen-Müssens zu entgehen. Theorie sollte also, um rein zu sein, die Fixierung ihres Trägers an die reale Existenz wenn schon nicht völlig auflösen, so doch temporär suspendieren können.

Sl***
(Scheintod im Denken, S.32)

Vorstufe der modernen Coolnesskultur

Es mag nützlich sein, daran zu erinnern, daß die antike Skepsis in mancher Hinsicht eine Vorstufe der modernen Coolnesskultur bot. Sie offerierte den Intellektuellen und Halbgebildeten der griechischen und römischen Städte eine leicht nachahmbare Haltung liberaler Ironie gegenüber den Anbietern von ernsten philosophischen Systemen, wie sie von den Platonikern, den Peripatetikern, der Stoikern, den Epikureern vorgetragen wurden. Die epoché entspricht hier der Einstellung des Kunden, der über den Markt spaziert, ohne zu kaufen.

Sl***
(Scheintod im Denken, S.38)

Modus vivendi des modernen Bürgers

Die Bürger moderner Lebenswelten jedoch wissen es seit langem besser — sie ließen sich von der erworbenen Blindheit der Theoretiker nicht beeindrucken. Sie haben die Schleusen für die offiziell ignorierten Übungspraktiken weit geöffnet, und die von Nietzsche postulierten Steigerungsaskesen sind unter diversen Namen — Fortbildung, Training, Fitness, Sport, Diätetik, Selbstdesign, Therapie, Meditation — zum dominierenden modus vivendi in den leistungsbejahenden Subkulturen des Westens geworden.

Sl***
(Scheintod im Denken, S.18-9)

Blindheit der Theoretiker

Von all den Arbeiten der Erdenbewohner »an sich selbst«, von ihren Askesen, ihren Trainings und ihren Bemühungen, in Form zu kommen, seien sie von bejahender oder verneinender Tendenz, wissen die modernen Sozialphilosophen, die kritischen Theoretiker und allgegenwärtigen Sozialpsychologen nach wie vor so gut wie nichts, da sie für dieses Phänomen blind machende Brillen tragen.

Sl***
(Scheintod im Denken, S.18)

Theorie und Praxis

Die klassische askesis, wie die griechischen Athleten ihr Training bezeichneten (...), war immer schon zwitterhaft. Man verliert ihren Eigenwert aus den Augen, sobald man das Üben in die Unterscheidung von Theorie und Praxis oder von tätigem und beschaulichem Leben zwängt.

Sl***
(Scheintod im Denken, S.17)

Der reine Beobachter ist tot

Wie wir noch längst nich alle Konsequenzen aus dem Satz »Gott ist tot« gezogen haben, sind uns auch bei weitem noch nicht sämtliche Implikationen des Satzes: »der reine Beobachter ist tot« bewußt. Die Säkularisation der kognitiven Prozesse nimmt offensichtlich viel mehr Zeit in Anspruch, als die Positivisten im 19. Jahrhundert, Teilchenphysiker im 20. oder Neurowissenschaftler im 21. Jahrhundert vorherzusehen vermochten.

Sl***
(Scheintod im Denken, S.14)

Unsterblichkeitskompetenz

Das bedeutet im übrigen, daß die vormals vielgelobte ars moriendi, die den Stoikern der Antike wie manchen mystischen Theologen des Spätmittelalters als Königsdisziplin der Ethik galt, gar nicht so sehr, wie man vermuten könnte, die Übernahme des Heroismus in die Sphäre des kontemplativen Lebens impliziert. Sie bildet vielmehr ein zentrales Kapitel der Erkenntnistheorie. Unter der platonischen Annahme, Immerwährendes und Unsterbliches werde nur durch Ebenbürtiges erkannt, erlangt die Suche nache einem hierfür geeigneten Organ in uns höchste Bedeutung. Ihr Erfolg entscheidet über die Möglichkeit von wahrer Theorie, wie sie von den Alten aufgefaßt wurde. Könnten wir ein solches Organ fürs Unvergängliche nicht schon zu Lebzeiten aktivieren, so wäre die Hoffnung auf gültige und bleibende Erkenntnis vergeblich. Besitzen wir aber ein solches, dann sollten wir uns darum bemühen, von ihm so früh wie möglich Gebrauch zu machen. Dies käme dem Versuch gleich, »im voraus« zu sterben, nicht, um länger tot zu sein, sondern um unsere latente Unsterblichkeitskompetenz offenzulegen, während wir noch in der sterblichen Hülle stecken.

Sl***
(Scheintod im Denken, S.12)

Was und Wie

Gemeinhin faßt man in der Philosophie und meist sogar unter Berufung auf die Antike die Wesensfrage so, daß in ihr nur die Rede ist von dem, was etwas ist, vom Was-sein, ganz abgesehen davon, ob es wirklich ist oder nicht; die Wirklichkeit ist hier ohne Bedeutung. Aber das ist zwiedeutig — und die Philosophie ist dieser Zwiedeutigkeit zum Opfer gefallen; denn sie hat es meist verabsäumt, zu fragen, was denn das Wesen auch der Wirklichkeit sei; wo die Frage gestellt ist, da geschieht es gerade so, daß Wirklichkeit existentia, in einem weiten, allumfassenden Sinne genommen wird, — das Wirkliche ist dann das Vorhandene; man sieht nicht, daß eben auch die Wirklichkeit wesenhaft sich wandelt mit dem Wesen im engeren Sinne, worin nur das Was-sein ausgedrückt ist. Das volle Wesen eines Seienden aber, das müssen wir erst lernen zu verstehen, betrifft sowohl das Was eines Seienden als das Wie seiner möglichen bzw. wirklichen Wirklichkeit.

He***
(Aristoteles Metaphysik Θ 1-3, S.223)

Dem nichts mehr unausführbar ist...

1047 a 24-26: εστι δε δυνατον τουτο, ωι εαν υπαρξηι η ενεργεια ου λεγεται εχειν την δυναμιν, ουδεν εσται αδυνατον. »In Wirklichkeit vermögend aber ist dieses, dem nichts mehr unausführbar ist, sobald es sich in das Zeug legt, als wozu es das Zeug zu haben angesprochen wird.«

He***
(Aristoteles Metaphysik Θ 1-3, S.219)

Im Stand sein zu...

Im Stand sein zu..., das bedeutet erstens: er ist ausgerüstet für...; aber nicht nur das, sondern zugleich zweitens: er untersteht sich, hat sich bereits entschlossen. Wirklich-vermögendsein ist das bereitschafterfüllte Im-Stand-sein-zu, dem nur noch die Enthemmung in den Vollzug fehlt, so daß, wenn diese vorhanden ist, sich eingestellt hat, das heißt: wenn der Vermögende sich ins Zeug legt, der Vollzug wahrhaft Ausübung ist und nur dieses. Er ist nicht anderes als Sich-ins-Zeug-legen — ενεργεια (εργον: das Werk oder das Zeug).

He***
(Aristoteles Metaphysik Θ 1-3, S.218-9)

Vermögend sein und wirklich sein

1047 a 20-24: ωστ' ενδεχεται δυνατον μεν τι ειναι μη ειναι δε, και δυνατον μη ειναι ειναι δε, ομοιως δε και επι των αλλων κατηγοριων δυνατον βαδιζειν ον μη βαδιζειν, και μη βαδιζον δυνατον ειναι βαδιζειν. »So kann also der Fall eintreten, daß etwas zwar als vermögend zu etwas wirklich ist und dabei doch nicht wirklich das ist, wozu dieses wirkliche Vermögende als solches vermögend ist, und ebenso kann der Fall eintreten, daß ein Vermögendes nicht wirklich ist als Vermögendes und doch gerade wirklich ist das, was er vermag; in gleicher Weise gilt das auch in Hinblick auf das andere, was vom Seienden gesagt werden kann; z.B. was als Zu-gehen-Vermögendes wirklich ein Seiendes (vorhanden) ist, geht in Wirklichkeit gar nicht, und was wirklich nicht geht, ist gleichwohl als vermögend zu gehen wirklich vorhanden.«

He***
(Aristoteles Metaphysik Θ 1-3, S.215)

Der rechte Begriff von ενεργεια

Daß die Megariker sich auf das ενεργειν stützten, beweist noch gar nicht, daß sie den rechten Begriff davon hatten; im Gegenteil, sie sahen gerade nicht, daß die ενεργεια qua ενεργεια ενεργεια κατα κινησιν ist. Und sie mußten diesen Grundbezug übersehen, weil ihnen überhaupt der Blick verstellt war auf das Wesen der κινησις. Aber auch nur wenn deren Wesen zur Klarheit gekommen ist, wird es möglich, die δυναμις in ihrem vollen Gehalt zu fassen und damit die Weise ihres eigensten Wirklichseins zu umgrenzen. Die δυναμις ist ja αρχη μεταβολης (bzw. κινησεως) — das, von aus ein Umschlag und Übergang geschieht. Wie dergleichen wirklich ist, läßt sich nur ausmachen, wenn ständig dem Rechnung getragen wird, was es ist. Andererseits kommt erst durch die zureichende Fassung dessen, wie δυναμις qua δυναμις wirklich ist, das, was sie ist, zur vollen Umgrenzung. So wird die Aufgabe der Charakterisierung des δυνατον ον ηι ον zugleich zur Aufgabe der Charakterisierung der ενεργεια ηι ενεργεια, d.h. des Nachweises, daß sie und wie sie κατα κινησιν ist.

He***
(Aristoteles Metaphysik Θ 1-3, S.214-5)

Die eigenständige Wirklichkeit des Wahrnehmbaren

Nichtvollzug bedeutet nicht völliges Fehlen von dergleichen wie Wahrnehmen. Das Vollziehenkönnen als daseiendes aber ist gerade die Haltung, in der solches vorgestellt wird, was wahrgenommen werden könnte bzw. wahrgenommen gewesen ist, aber gerade in dem charakteristischen Wissen, daß das so Wahrnehmbare für sich nicht angewiesen ist auf ständiges Wahrgenommenwerden. Das Sichzurückziehen aus der Ausübung des Wahrnehmens ist kein bloßes Abbrechen und Verschwinden dieser, sondern hat den Charakter des Überlassens des Wahrgenommenen an es selbst als ein nunmehr Wahrnehmbares. So kann und muß gesagt werden: Die eigenständige Wirklichkeit des Wahrnehmbaren wird im Grunde gar nicht im jeweilig wirklichen Vollzug der Wahrnehmung erfahren, sondern erst im eigentümlichen Nicht-mehr- und Noch-nicht-Vollzug.

He***
(Aristoteles Metaphysik Θ 1-3, S.206)

Jedermannswahrheit

(...) wenn jeweils nur das wahr ist und so wahr ist, was und wie es jedem gerade erscheint, dann ist natürlich eine allgemein gültige, objektive Wahrheit nicht möglich. Diese billige Argumentation wollen wir hier nicht weiter besprechen; nur auf eines muß hingewiesen werden: Sie steht auf der Annahme, daß die Wahrheit nicht wahrheit sei, wenn sie nicht für jedermann gelte. Aber diese Annahme ist gar nicht begründet, bzw. man macht sich gar nicht klar, was es heißt diese Annahme zu begründen. Man vergißt zu fragen, ob nicht das eigentliche Wesen der Wahrheit gerade darin besteht, daß sie nicht für jedermann gilt — und das Jedermannswahrheiten das Nichtigste sind, was sich im Felde der Wahrheit auftreiben läßt.

He***
(Aristoteles Metaphysik Θ 1-3, S.198)

Aller Dinge Maß ist der Mensch

(Theait. 152 a): φησι γαρ που »παντων χρηματων μετρον« ανθρωπον ειναι, »των μεν οντων ως εστι, των δε μη οντων ωσ ουκ εστιν«. »Aller Dinge Maß ist der Mensch, der Seienden, daß sie sind, der Nichtseienden, daß sie nicht sind.« Und dieser Satz ist begründet auf das Wesen der αισθησις, 152 a 6 ff.: οια μεν εκαστα εμοι φαινεται τοιαυτα μεν εστιν εμοι, οια δε σοι, τοιαυτα δε αυ σοι. »Als welches jegliches sich mir zeigt, solches ist es mir, als welches aber dir, solches wiederum est es dir.«

He***
(Aristoteles Metaphysik Θ 1-3, S.197)

Wahrnehmung und Herstellung

Diese Art δυναμις, nämlich die αισθησις, ist zwar wie jede δυναμις als Kraft zu etwas bezogen. Allein dieser Bezug ist hier bei der αισθησις ein ganz ausgezeichneter und eigener; darin liegt es, daß nun auch das, was auf sogeartete δυναμεις beziehbar ist, einen eigenen Charakter hat; also nicht etwa gleichgestellt werden darf mit dem, worauf sich eine τεχνη bezieht: das εργον. Genauer: das εργον der αισθησις als δυναμις ist kein hergestelltes vorhandenes Ding als hergestelltes und verfertigtes. Durch das Wahrnehmen stellen wir nicht Dinge her; etwa so und so gefärbte — das vollziehen wir durch Anstreichen; oder so und so tönende — das vollziehen wir durch das Spannen und Schlagen von Saiten. Das εργον der αισθησις ebenso wie der νοησις ist die αληθεια — die Offenbarkeit des Seienden, und im besonderen die Wahrgenommenheit der Dinge — dieses, daß sie sich uns zeigen in ihrer Farbigkeit, in ihrem Tönen.

He***
(Aristoteles Metaphysik Θ 1-3, S.196)

Das andere seiner selbst

Wenn ein Mögliches, z.B. ein Tisch, wirklich wird, so bedeutet das: dieses im allgemeinen Vorgestellte ist es, was sich verwirklicht und eben als das hier und jetzt anwesend wird. Wenn dagegen ein Vermögen sich verwirklicht, dann wird nicht, gleich dem Möglichen, dieses Vermögen selbst wirklich, sondern was dann verwirklicht wird, als was das Vermögen sich und wie es sich verwirklicht, das ist das andere seiner selbst.

He***
(Aristoteles Metaphysik Θ 1-3, S.192)

Vorhandensein

Ebensowenig ist der Nichtvollzug als Einstellung der Ausübung das Verschwinden der Vermögens; das kann eintreten, wenn der Töpfer etwa durch einen Unglücksfall, παθος, beide Hände verliert. Dann sagen wir: es ist aus mit der Töpferei; aber dieses Aussein ist ein ganz anderes Geschehnis als etwa das Aufstehen des Töpfers von der Scheibe und das Weggehen aus der Werkstatt. Ja selbst mit jenem Verlust der Hände ist das Vermögen nicht schlechthin verschwunden, in dem Sinne, daß mit den Megarikern gesagt werden könnte: es ist einfach weg; es ist nur in gewisser Weise nicht mehr vorhanden.

He***
(Aristoteles Metaphysik Θ 1-3, S.186-7)

Vollzug ist Ausübung

Vollzug ist nie und nimmer nur das Auftauchen von etwas, was zuvor schlechthin weg war, und umgekehrt ist auch Nichtvollzug nicht das schlechthinnige Weg-sein von etwas, das da war. Vollzug ist Ausübung, also Anwesenheit von Übung und Geübtheit, Anwesenheit von In-der-Übung-sein, von solchem, was schon anwesend ist. Obzwar Vollzug Anwesenheit ist, so doch nicht Anwesenheit des zuvor einfach Abwesenden, sondern umgekehrt Anwesenheit eines gerade auch schon Anwesenden; das heißt aber: keine beliebige unbestimmte Anwesenheit überhaupt, sondern eine eigentümliche und ausgezeichnete.

He***
(Aristoteles Metaphysik Θ 1-3, S.185)

Das Werkhafte des Werkes

Das Werkhafte des Werkes ist bestimmt durch das Aussehen. Und zwar soll das Aussehen als in sich beendetes Fertiges in einem einzelnen, entsprechenden Werk zuwege gebracht, her-gestellt werden. Her-stellen, das heißt: zur Verfügung anwesend machen (nicht nur: machen). In Her-gestelltheit liegt erstens das Verfertigtsein, zweitens in eins damit das »das nunmehr zur Verfügung sein«. Diese Her-gestelltheit ist die Wirklichkeit des Werkes; was sich dergestalt bekundet, »ist«.

He***
(Aristoteles Metaphysik Θ 1-3, S.179)