Das Denken an den Tod

Solches Verhalten bedenkt die Möglichkeit, wann und wie sei sich wohl verwirklichen möchte. Dieses Grübeln über den Tod nimmt ihm zwar nicht völlig seinen Möglichkeitscharakter, er wird immer noch begrübelt als kommender, wohl aber schwächt es ihn ab durch ein berechnendes Verfügenwollen über den Tod. Er soll als Mögliches möglichst wenig von seiner Möglichkeit zeigen.

H***
(Sein und Zeit, S. 261).

Das Man verdeckt die Gewißheit des Todes

Man sagt: der Tod kommt gewiß, aber vorläufig noch nicht. Mit diesem »aber« spricht das Man dem Tod die Gewißheit ab. Das »vorläufig noch nicht« ist keine bloße negative Aussage, sondern eine Selbstauslegung des Man, mit der es sich an das verweist, was zunächst noch für das Dasein zugänglich und besorgbar bleibt. Die Alltäglichkeit dringt in die Dringlichkeit des Besorgens und begibt sich der Fesseln des müden, »tatenlosen Denkens an den Tod«. Dieser wird hinausgeschoben auf ein »später einmal« und zwar unter Berufung auf das sogenannte »allgemeine Ermessen«. So verdeckt das Man das Eigentümliche der Gewißheit des Todes, daß er jeden Augenblick möglich ist. Mit der Gewißheit des Todes geht die Unbestimmtheit seines Wann zusammen.

H***
(Sein und Zeit, S. 258).

Gleichgültigkeit

Mit der verfallenden Flucht vor dem Tode bezeugt aber die Alltäglichkeit des Daseins, daß auch das Man selbst je schon als Sein zum Tode bestimmt ist, auch dann, wenn es sich nicht ausdrücklich in einem »Denken an den Tod« bewegt. Dem Dasein geht es auch in der durchschnittlichen Alltäglichkeit ständig um dieses eigenste, unbezügliche und unüberholbare Seinkönnen, wenn auch nur im Modus des Besorgens einer unbehelligten Gleichgültigkeit gegen die äußerste Möglichkeit seiner Existenz.

H***
(Sein und Zeit, S. 254-5).

Mut zur Angst vor dem Tode

Das Man besorgt eine ständige Beruhigung über den Tod.

Das Man läßt den Mut zur Angst vor dem Tode nicht aufkommen.

Was sich gemäß dem lautlosen Dekret des Man »gehört«, ist die gleichgültige Ruhe gegenüber der »Tatsache«, daß man stirbt. Die Ausbildung einer solchen »überlegenen« Gleichgültigkeit entfremdet das Dasein seinem eigensten, unbezüglichen Seinkönnen.

H***
(Sein und Zeit, S. 254, 255).

Man stirbt

Die Analyse des »man stirbt« enthüllt unzweideutig die Seinsart des alltäglichen Seins zum Tode. Dieser wird in solcher Rede verstanden als ein unbestimmtes Etwas, das allererst irgendwoher eintreffen muß, zunächst aber für einen selbst noch nicht vorhanden und daher unbedrohlich ist. Das »man stirbt« verbreitet die Meinung, der Tod treffe gleichsam das Man. Die öffentliche Daseinsauslegung sagt: »man stirbt«, weil damit jeder andere und man selbst sich einreden kann: je nicht gerade ich; denn dieses Man ist das Niemand. Das »Sterben« wird auf ein Vorkommnis nivelliert, das zwar das Dasein trifft, aber niemandem eigens zugehört.

H***
(Sein und Zeit, S. 253).

Das Dasein stirbt faktisch

Das Dasein stirbt faktisch, solange es existiert, aber zunächst und zumeist in der Weise des Verfallens. Denn faktisches Existieren ist nicht nur überhaupt und indifferent ein geworfenes In-der-Welt-sein-können, sondern ist immer auch schon in der besorgten »Welt« aufgegangen. In diesem verfallenden Sein bei... meldet sich Flucht aus der Unheimlichkeit, das heißt jetzt vor dem eigensten Sein zum Tode. Existenz, Faktizität, Verfallen charakterisieren das Sein zum Ende und sind demnach konstitutiv für den existenzialen Begriff des Todes. Das Sterben gründet hinsichtlich seiner ontologischen Möglichkeit in der Sorge.

H***
(Sein und Zeit, S. 251).

Bevorstand

Der Tod ist eine Seinsmöglichkeit, die je das Dasein selbst zu übernehmen hat. Mit dem Tod steht sich das Dasein selbst in seinem eigensten Seinkönnen bevor. In dieser Möglichkeit geht es dem Dasein um sein In-der-Welt-sein schlechthin. Sein Tod ist die Möglichkeit des Nicht-mehr-Dasein-könnens. Wenn das Dasein als diese Möglichkeit seiner selbst sich bevorsteht, ist es völlig auf sein eigenstes Seinkönnen verwiesen. So sich bevorstehend sind in ihm alle Bezüge zu anderem Dasein gelöst. Diese eigenste, unbezügliche Möglichkeit ist zugleich die äußerste. Als Seinkönnen vermag das Dasein die Möglichkeit des Todes nicht zu überholen. Der Tod ist die Möglichkeit der schlechthinnigen Daseinsunmöglichkeit. So enthüllt sich der Tod als die eigenste, unbezügliche, unüberholbare Möglichkeit.. Als solcher ies er ein ausgezeichneter Bevorstand.

H***
(Sein und Zeit, S. 250-1).

Sein zum Ende

So wie das Dasein vielmehr ständig, solange es ist, schon sein Noch-nicht ist, so ist es auch schon immer sein Ende. Das mit dem Tod gemeinten Enden bedeutet kein Zu-Ende-sein des Daseins, sondern ein Sein zum Ende dieses Seienden. Der Tod ist eine Weise zu sein, die das Dasein übernimmt, sobald es ist.

H***
(Sein und Zeit, S. 245).

Unganzheit

Was am Dasein die »Unganzheit« ausmacht, das ständige Sichvorweg, ist weder ein Ausstand eines summativen Zusammen, noch gar ein Noch-nicht-zugänglich-geworden-sein, sondern ein Noch-nicht, das je ein Dasein als das Seiende, das es ist, zu sein hat.

H***
(Sein und Zeit, S. 244).

Ausstand

Ausstehen als Fehlen gründet in einer Zugehörigkeit.

Das Seiende, an dem noch etwas aussteht, hat die Seinsart des Zuhandenen

Dies einem solchen Modus des Zusammen zugehörige Unzusammen, das Fehlen als Ausstand, vermag aber keineswegs das Noch-nicht ontologisch zu bestimmen, das als möglicher Tod zum Dasein gehört. Dieses Seiende hat überhaupt nicht die Seinsart eines innerweltlich Zuhandenen.

H***
(Sein und Zeit, S. 242, 243).

Der Tod ist je meins

Der Tod ist, sofern er »ist«, wesensmäßig je der meine. Und zwar bedeutet er eine eigentümliche Seinsmöglichkeit, darin es um das Sein des je eigenen Daseins schlechthin geht.

H***
(Sein und Zeit, S. 240).

Dasein als Vorhandenen

Das Ende des Seienden qua Dasein ist der Anfang dieses Seienden qua bloßen Vorhandenen.

H***
(Sein und Zeit, S. 238).

Sichvorweg und Ende

Der Sorge, welche die Ganzheit des Strukturganzen des Daseins bildet, widerspricht offenbar ihrem ontologischen Sinn nach ein mögliches Ganzsein dieses Seienden. Das primäre Moment der Sorge, das »Sichvorweg«, besagt doch: Dasein existiert je umwillen seiner selbst. »Solange es ist«, bis zu seinem Ende verhält es sich zu seinem Seinkönnen.

Solange das Dasein als Seiendes ist, hat es seine »Gänze« nicht erreicht. Gewinnt es sie aber, dann wird der Gewinn zum Verlust des In-der-Welt-seins schlechthin. Als Seiendes wird es dann nie mehr erfahrbar.

H***
(Sein und Zeit, S. 236).

Das Ende

Im Dasein steht, solange es ist, je noch etwas aus, was es sein kann und wird. Zu diesem Ausstand aber gehört das »Ende« selbst. Das »Ende« des In-der-Welt-seins ist der Tod. Dieses Ende, zum Seinkönnen, das heißt zur Existenz gehörig, begrenzt und bestimmt die je mögliche Ganzheit des Daseins. Das Zu-Ende-sein des Daseins im Tode und somit das Ganzsein dieses Seienden wird aber nur dann phänomenal angemessen in die Erörterung des möglichen Ganzseins einbezogen werden können, wenn ein ontologisch zureichender, das heißt existenzialer Begriff des Todes gewonnen ist. Daseinsmäßig aber ist der Tod nur in einem existenziellen Sein zum Tode.

H***
(Sein und Zeit, S. 233-4).

Ganzheit des Daseins

Und wenn die Existenz das Sein des Daseins bestimmt und ihr Wesen mitkonstituiert wird durch das Seinkönnen, dann muß das Dasein, solange es existiert, seinkönnend je etwas noch nicht sein.

H***
(Sein und Zeit, S. 233).

Beweis

Wahrheit läßt sich in ihrer Notwendigkeit nicht beweisen, weil das Dasein für es selbst nicht erst unter Beweis gestellt werden kann.

H***
(Sein und Zeit, S. 229).

Ewige Wahrheiten

Das es »ewige Wahrheiten« gibt, wird erst dann zureichend bewiesen sein, wenn der Nachweis gelungen ist, daß in alle Ewigkeit Dasein war und sein wird. Solange dieser Beweis aussteht, bleibt der Satz eine phantastische Behauptung, die dadurch nicht an Rechtmäßigkeit gewinnt, daß sie von den Philosophen gemeinhin »geglaubt« wird.

Alle Wahrheit ist gemäß deren wesenhaften daseinsmäßigen Seinsart relativ auf das Sein des Daseins.

H***
(Sein und Zeit, S. 227).

Ontologische Abkünftigkeit des traditionellen Wahrheitsbegriffes

Die Entdeckheit des Seienden rückt mit der Ausgesprochenheit der Aussage in die Seinsart des innerweltlich Zuhandenen. Sofern sich nun aber in ihr als Entdecktheit von... ein Bezug zu Vorhandenem durchhält, wird die Entdecktheit (Wahrheit) ihrerseits zu einer vorhandenen Beziehung zwischen Vorhandenen (intellectus et res).

Das in der Erschlossenheit des Daseins fundierte existenziale Phänomen der Entdecktheit wird zur vorhandenen, noch Bezugscharakter in sich bergendem Eigenschaft und als diese in eine vorhandene Beziehung auseinandergebrochen. Wahrheit als Erschlossenheit und entdeckendes Sein zu entdecktem Seienden ist zur Wahrheit als Übereinstimmung zwischen innerweltlich Vorhandenem geworden.

H***
(Sein und Zeit, S. 225).

Schein

Der volle existenzial-ontologische Sinn des Satzes: » Dasein ist in der Wahrheit« sagt gleichursprünglich mit: »Dasein ist in der Unwahrheit«. Aber nur sofern Dasein erschlossen ist, ist es auch verschlossen.; und sofern mit dem Dasein je schon innerweltliches Seiendes entdeckt ist, ist dergleichen Seiendes als mögliches innerweltlich Begegnendes verdeckt (verborgen) oder verstellt.

Daher mußt das Dasein wesenhaft auch schon Entdeckte gegen den Schein und die Verstellung sich ausdrücklich zueignen und sich der Entdecktheit immer wieder versichern. Erst recht vollzieht sich alle Neuentdeckung nicht auf der Basis völliger Verborgenheit, sondern im Ausgang von der Entdecktheit im Modus des Scheins. Seiendes sieht so aus wie..., das heißt, es ist in gewisser Weise schon entdeckt und doch noch verstellt.

H***
(Sein und Zeit, S. 222).
Das Dasein ist, weil wesenhaft verfallend, seiner Seinsverfassung nach in der »Unwahrheit«.

H***
(Sein und Zeit, S. 222).
Dasein ist »in der Wahrheit«

H***
(Sein und Zeit, S. 221).

Entdecktheit

Wahrsein als entdeckend-sein ist eine Seinsweise des Daseins. Was dieses Entdecken selbst möglich macht, muß notwendig in einem noch ursprünglicheren Sinne »wahr« genannt werden. Die existenzial-ontologischen Fundamente des Entdeckens selbst zeigen erst das ursprünglichste Phänomen der Wahrheit.

Das Entdecken ist eine Seinsweise des In-der-Welt-seins. Das umsichtige oder auch das verweilende hinsehende Besorgen entdecken innerweltliches Seiendes. Dieses wird das Entdeckte. Es ist »wahr« in einem zweiten Sinne. Primär »wahr«, das heißt entdeckend ist das Dasein. Wahrheit im zweiten Sinne besagt nicht Entdeckend-sein (Entdeckung), sondern Entdeckt-sein (Entdeckheit).

H***
(Sein und Zeit, S. 220).

Wahrsein

Wahrsein (Wahrheit) besagt entdeckend-sein.

Das Wahrsein des λογος als αποφανσις ist das αληθευειν in der Weise des αποφαινεσθαι: Seiendes — aus der Verborgenheit herausnehmend — in seiner Unverborgenheit (Entdecktheit) sehen lassen.

H***
(Sein und Zeit, S. 219).

Nicht


Einander dann nicht mehr zu kennen, auf einmal.
Oder sehr lang schon: schon immer.

Nicht, es geht hier um Nicht.

Manche sagen, dass das,
genau das, der wesentliche Moment ist,
der Moment 'Nicht',
darum ginge es.

Doch das ist, was manche tun: reden,
immer nur reden.
Musik im Fahrstuhl.
Hätten sie recht, würden sie schweigen.

B***
(Maar zingend).

Wasser, Aspirin, du


Wasser, Aspirin, du. Die Sonne brennt!
Der Wind treibt Löcher in das Laub!
Etwas klemmt! Die Zeit tickt quälend
Auf den Trommelfellen.

Und bring mir, wenn du schon
dabei bist, eine ewige Finsternis
und eine gewaltige Stille.
Wickle mich ein und lass mich so liegen.

Und frag mich jeden Tag, was ich will.
Steh spärlich beleuchtet in der Tür.

B***
(Zo helder zagen we het zelden).

Das Vollkommene


Das vollkommene Glück,
dem nur Dauer fehlte,
das unvollkommen war,
stob durch das Haus, brüllte,

bahnt' sich einen Weg bis zur Tür, brach aus,
und bracht alles, den strahlenden Morgen,
zum Blühen.

Frühling war es, jung noch der Tag, und du
dann die Schönste.
Vögel saugten sich voll mit Musik,
die irgendwo herkam.

B***
(Maar zingend).

Realität und Sorge

Realität ist als ontologischer Titel auf innerweltliches Seiende bezogen. Dient er zur Bezeichnung dieser Seinsart überhaupt, dann fungieren Zuhandenheit und Vorhandenheit als Modi der Realität. Läßt man aber diesem Wort seine überlieferte Bedeutung, dann meint es das Sein im Sinne der puren Dingvorhandenheit. Aber nicht jede Vorhandenheit ist Dingvorhandenheit.

Realität ist in der Ordnung der ontologischen Fundierungszusammenhänge und der möglichen kategorialen und existenzialen Ausweisung auf das Phänomen der Sorge zurückverwiesen.

H***
(Sein und Zeit, S. 211-2).

Idealismus

Besagt der Titel Idealismus soviel wie Verständnis dessen, daß Sein nie durch Seiendes erklärbar, sondern für jedes Seiende je schon das »Transzendentale« ist, dann liegt im Idealismus die einzige und rechte Möglichkeit philosophischer Problematik. Dann war Aristoteles nicht weniger Idealist als Kant. Bedeutet Idealismus die Rückführung alles Seiende auf ein Subjekt oder Bewußtsein, die sich nur dadurch auszeichnen, daß sie in ihrem Sein unbestimmt bleiben und höchstens negativ als »undinglich« charakterisiert werden, dann ist dieser Idealismus methodisch nicht weniger naiv als der grobschlächtigste Realismus.

H***
(Sein und Zeit, S. 208).

Realismus

Mit dem Dasein als In-der-Welt-sein ist innerweltliches Seiendes je schon erschlossen. Diese existenzial-ontologische Aussage scheint mit der These des Realismus übereinzukommen, daß die Außenwelt real vorhanden sei. Sofern in der existenziale Aussage das Vorhandensein von innerweltlichem Seienden nicht geleugnet wird, stimmt sie im Resultat — gleichsam doxographisch — überein. Sie unterscheidet sich aber grundsätzlich von jedem Realismus dadurch, daß dieser die Realität der »Welt« für beweisbedürftig, aber zugleich auch für beweisbar hält. Beides ist in der existenziale Aussage gerade negiert. Was diese aber völlig vom Realismus trennt, ist dessen ontologisches Unverständnis. Versucht er doch Realität ontisch durch reale Wirkungszusammenhänge zwischen Realem zu erklären.

H***
(Sein und Zeit, S. 207).

Das Realitätsproblem

Das »Realitätsproblem« im Sinne der Frage, ob eine Außenwelt vorhanden und ob sie beweisbar sei, erweist sich als ein unmögliches, nicht weil es in der Konsequenz zu unaustragbaren Aporien führt, sondern weil das Seiende selbst, das in diesem Problem im Thema steht, eine solche Fragestellung gleichsam ablehnt. Zu beweisen ist nicht, daß und wie eine »Außenwelt« vorhanden ist, sondern aufzuweisen ist, warum das Dasein als In-der-Welt-sein die Tendenz hat, die »Außenwelt« zunächst »erkenntnistheoretisch« in Nichtigkeit zu begraben, um sie dann erst durch Beweise auferstehen zu lassen. Der Grund dafür liegt im Verfallen des Daseins und der darin motivierten Verlegung des primären Seinsverständnisses auf das Sein als Vorhandenheit.

H***
(Sein und Zeit, S. 206).