Das Seyn ist das Nichts

Im Zeitalter der Metaphysik, das sein Ende gestaltet in der Fraglosigkeit des Seins, die Alles der Allmacht des Seienden (»Wirklichen« — »Wirksamen«, »Lebenden«) eingeräumt hat, muß das erste Wort der Besinnung — des Hinrufes in das Wesen des Seyns — in einem Spruch gesagt werden, den auch die Metaphysik und zwar in ihrem Ende schon gesprochen hat: Das Seyn ist das Nichts.

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(Besinnung, S. 58)

Das Seyn vereinsamt sich selbst

Das Seyn vereinsamt sich selbst, ist als diese Vereinsamung und deshalb vermag nur ein Denken das Seyn zu erreichen, das als ein besinnendes — die Wahrheit seiner selbst erfragendes — vom Seyn in das Da-sein, die Gründerschaft des Wesens der Wahrheit, ereignet und der Einsamkeit und wesenhaften Wirkungsunbedürftigkeit verschrieben wird.

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(Besinnung, S. 56)

Das Unwägbare ist das Seyn

Das denkerische Sagen reißt in das Befremdliche und läßt das zu Wissende im Eindruck- und Wirkungslosen stehen. Das Denken des Seyns gründet die unbedingte Einsamkeit des noch unentschiedenen aber Entscheidung fordernden Inzwischen, den Ur-sprung, der eine Lichtung reißt, die eine unwägbare Vereinsamung bleibt. Das Unwägbare ist das Seyn.

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(Besinnung, S. 55-6)
So überrascht es nicht, die Geschichte des Denkens als Geschichte des Geistes und der Kultur anzutreffen oder als Geschichte ihrer »Probleme«, wobei sie selbst für das Fragloseste gehalten wird. Jede Ahnung, die Philosophie könnte der Geschichte des Seyns angehören, ja sogar nur diese Geschichte, der Kampf der Ab-gründe und Gründungen der Wahrheit des Seyns, und nichts außerdem sein, bleibt verbannt.

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(Besinnung, S. 54)

Die Philosophie ist des Seyns

Die Philosophie ist des Seyns; sie gehört diesem, nicht etwa als die Art nur seiner Erfassung, sondern als die Wesung der dem Seyn zugehörigen Wahrheit. In dieser Wahrheit hat die Philosophie ihre Geschichte: die Wahrheit des Seyns verfängt sich aber, weil sie der Ab-grund ist, zuvor und lange Zeit in einem Schein: daß das Sein als Seiendheit das Wesen des Seyns erschöpfe, und daß das Vorstellen des Seins nur eine Aufdringlichkeit zu diesem sei, deren das Seyn entbehren könnte.

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(Besinnung, S. 53-4)

Wesensgefahr für das Denken des Seyns

Die Wesensgefahr für das Denken des Seyns bezuegt sich darin, daß die Wissenschaften, die Dichtung (Kunst), die Weltanschauungen, obzwar grundverschieden unter sich nach Wesen und Rang, nach Herkunft und Wirkung, doch gleichgierig sind auf eine Verunstaltung oder gar Ersetzung des einfachen Wesens der Philosophie. In Wahrheit freilich werden diese drei zu Zeiten von der Übermacht des Seienden zur Verstörung der Philosophie unter dem Anschein ihrer Verbesserung und Rettung vorgeschickt, um das Seyn in die Botmäßigkeit des Seienden zu bringen und die Vergessenheit des Seins, deren alle Vor- und Herstellung des Seienden bedarf, in das ausschließliche Recht zu setzen.

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(Besinnung, S. 52-3)

Grundlosigkeit des Seyns

Kein Seiendes vermag dem Seyn einen Grund zu leihen, weil das Seyn der Ab-grund ist, darin erst die Not alles Grundlosen ihre Tiefe und die Notwendigkeit jeder Gründung ihre Gipfel hat. Der Lichtung des Abgrundes und nur ihr gehört die Philosophie, indem sie das Einfachste und Stillste zu sagen übernimmt: Das Wort der Wahrheit des Seyns, den Spruch des wissenschaftslosen Wissens, der nie Machtspruch ist und die Ohnmacht nicht kennt.

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(Besinnung, S. 52)

Dichtung und Philosophie

Weil die Philosophie das Seyn sagt, und deshalb nur als Wort im Wort ist, und weil ihr Wort nie das Zusagende nur bedeutet oder bezeichnet, sonder im Sagen das Seyn selbst ist, möchte sie alsbald den Übertritt in die Dichtung als Nothilfe und als Gefäß zumal suchen. (...). Die Zuflucht zur Dichtung ist die Flucht vor der kalten Kühnheit der Seinsfrage, die stets ein Zerbrechen der Machenschaft des Seienden, ihrer Verleugnung des Seyns, vollbringt und in der Unruhe und Zerklüftung eines Bruches verharren muß, so daß ein Denken des Seyns nie in die Ruhe des »Werkes« einkehren darf. Der Philosophie gehört die Ruhe der Herrschaft des bildlosen Wissens.

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(Besinnung, S. 51)

Verfall der Philosophie in den Wissenschaften

Weil die Philosophie das wesentliche Wissen ist und so das verborgene Leuchten des Wesens der Wahrheit unterhält, lockt sie das Ausgleiten in die »Wissenschaften«, um gleich diesen und gestützt scheinbar durch deren Ergebnisse die Wissenschaftlichkeit zur Auszeichnung des Wissens zu machen. Und doch bleibt dies immer ein Verfall in das Untergeordnete (...).

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(Besinnung, S. 50-1)
Die »Entwicklung« der Philosophie ist jeweils die Ausfaltung ihres Wesens auf dem Wege der immer einfacheren Sammlung auf den einzigen Gedanken des Seyns.

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(Besinnung, S. 50)
Die Besinnung der Philosophie auf sich selbst gehört zum Denken des Seins. Einzig west das Seyn in der Lichtung, die es selbst ist, welche Lichtung aber nur aussstehbar bleibt, in einem Entwurf, der in ihr Offenes sich wirft und der Offenheit dieses Offenen sich übereignet und ihre Gründung wagt. Dieser gründender Entwurf er-denkt die Wahrheit des Seyns und wird dabei doch nur — so anders und gegenteilig dieses scheinen mag — vom Seyn selbst er-eignet.

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(Besinnung, S. 50)

Objekt der Entscheidung

Die Entscheidung ist nicht zwischen »Sein« oder »Nichtsein« — des Menschen, sondern zwischen der Wahrheit des Seins eines jeglichen und möglichen Seienden und der Machenschaft des vom Sein verlassenen Seienden im Ganzen.

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(Besinnung, S. 46)

Die neuzeitliche Kunst

Die Kunst ist die Einrichtung der Anlagen der Machsamkeit alles Seienden; deshalb im voraus entscheidungslos. Die Kunst übernimmt in der Wesensgleichheit mit Technik und Historie die Einrichtung des Seienden, dessen Sein als Machenschaft im voraus entschieden ist, weshalb der Kunst in keiner Weise ein Entscheidungsspielraum, eine Entscheidbarkeit zustehen kann.

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(Besinnung, S. 35)

Kitsch

Kitschig sind nicht die Filme, sonder das, was sie, zufolge der Machenschaft des Erlebens, als erlebenswert anzubieten und zu verbreiten haben. Mit dem machenschaftlich notwendigen Verschwinden der Kunstwerke bisherigen Wesens verliert der aus ihrer Nachmachung stammende Kitsch seinen Gegenhalt und wird eigenständig und als ein solcher gar nicht mehr erfahrbar. »Kitsch« ist nicht »schlechte« Kunst, sondern bestes Können, aber des Leeren und Unwesens, was dann, um sich noch eine Bedeutung zu sichern, die öffentliche Propaganda seines Symbolcharakters zu Hilfe ruft.

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(Besinnung, S. 31)

Der unerkannte Wächter der Wahrheit des Seins

Die Vollendung des metaphysischen Zeitalters »befreit« das Sein zum Wesen der Machenschaft; der Mensch aber (der unerkannte Wächter der Wahrheit des Seins) vollendet sich zunächst zum Verächter dieser Wahrheit in der Art einer Verachtung, der Jenes doch unbekannt bleiben muß, woran sie vorbeigeht. Das Vernünftige Tier ist zum Subjekt geworden und die Vernunft der Historie entfaltet, deren Wesen mit dem der Technik zusammenfällt. Der Mensch der vollendeten Neuzeit ist das historische Tier, dem das Seiende im Ganzen als »das Leben« erscheint und das sein eigenes Treiben aus seiner Getriebenheit als »das Erlebnis« zum Wünschbaren erhoben hat.

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(Besinnung, S. 27)

Werden und Seyn

Der scheinbare Vorrang des »Werdens« vor dem »Sein« ist nur die Selbstermächtigung des Machsamkeit zur Beständigung ihrer unbedingten Anwesung, mithin die vollendete Ermächtigung des Werdens zum Sein. Jede Versteifung des Denkens auf das Werden gegen das (in vermeintlicher Gegnerschaft zum) Sein weiß nicht, was sie denkt, und ist das Zeichen einer Unbewältigung der Metaphysik.

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(Besinnung, S. 26)

Seyn und Werden

Planung, Berechnung, Einrichtung, Züchtung fordert das so zur Herrschaft gekommene Seiende und damit das Ja zum »Werden«, nicht in der Absicht auf Fortschritt zu einem Ziel und »Ideal«, sonder um des Werdens selbst willen; denn dieses betreibt die Übermächtigung, da nur in ihr jegliche Macht sich halten kann.

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(Besinnung, S. 26)
Die Vollendung des metaphysischen Zeitalters erhebt das Sein im Sinne der Machenschaft zu einer solchen »Herrschaft«, daß in dieser zwar das Sein vergessen, und gleichwohl das Seiende solchen Wesens als das Einzige betrieben, zur ungedingt sicheren Vor- und Herstellung gebracht wird.

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(Besinnung, S. 26)

Überwindung der Metaphysik

Die denkerische Besinnung soll aber zumal das Wesen der Vollendung der Neuzeit begreifen und alles Denken hinter sich lassen, das der Metaphysik botmäßig bleiben muß auch dort, wo es sie scheinbar verleugnet aus der Meinung, durch ein Nichtmehrfragen ihrer Herr geworden zu sein. Aber die »Metaphysik« — und das sagt hier stets: die in ihrer Wahrheit grundlose Herrschaft des aus dem Denken als Vorstellen bestimmten Seins — wird nur durch ein anfänglicheres Fragen ihrer eigensten Frage überwunden und damit in ihre volle geschichtliche Notwendigkeit zurückgestellt.

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(Besinnung, S. 24-5)

Voreilende Vorbereitung

Die Vorbereitung jener einzigen Entscheidung kann nur vollzogen werden im Vorsprung zu der ihr gemäßen Entschiedenheit, die selbst — historisch gerechnet — noch nicht »wirklich«, nicht sichtbar und nicht wirksam ist, dennoch die Geschichte des Anderen Anfangs als Geschichte der Wesung der Wahrheit des Seyns übernommen hat.

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(Besinnung, S. 23)

Das Denken erfragt die Wahrheit des Seyns

Das Da-sein ist die Übernahme der Not einer Gründung der Wahrheit des Seyns, ist ein Anfang der historielosen Geschichte. Die Bereitschaft zu solcher Übernahme vorbereiten in der Gestalt eines Wissens des Seyns, nennt sich Besinnung in der Bahn des Denkens; weil das Denken die Wahrheit des Seyns erfragt im bildlosen Sagen des Wortes.

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(Besinnung, S. 22-3)

Übermacht der Machenschaft über das Denken

Die Übermacht der Machenschaft zeigt sich am schärfsten dort, wo sie sich auch des Denkens bemächtigt und das Denken der Seiendheit des Seienden machenschaftlich einrichtet, so zwar, daß das Sein selbst zu dem gemacht wird, was sich selbst macht — einrichtet und errichtet. Vorbedingung dafür ist zunächst die Auslegung des Seins als »Objektivität« des »Objekts«, als »Gegenständlichkeit« des Gegenstandes.

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(Besinnung, S. 21)

Zerstörung und Verwüstung

Zerstörung heißt hier: eine endgültige Störung des Bisherigen vollbringen aus bereits vollzogener Entscheidung zu einem anderen Anfang. Verwüstung aber ist die Untergrabung jeder Möglichkeit des Anfangs auf Grund der völligen Blendung durch die in einer Maßlosigkeit unbedingt gewordene Eigensucht, die als ihren unangreifbaren Gegner die Besinnung zugestehen muß in der Form, nach der die Gewalt Zugeständnisse macht, indem sie das Zugestandene in die vermeintliche Nichtigkeit des »Lächerlichen« und Schwachen verstößt.

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(Besinnung, S. 21)

Phase der Verwüstung

Das jeder Machtentfaltung eigene Suchen nach immer neuen und geeigneten Gegnern führt aufgrund der Unbedingtheit der Macht zuletzt in die äußerste Phase der Verwüstung des unterworfenen, schrankenlosen Machtkreises. Mit der Phase der Verwüstung, die dem Anschein nach aufdringlicher denn je immer noch wie Aufbau, Leistung, Tatkraft, »Einsatz« aussieht und es, gewaltmäßig versanden, auch »ist«, wird jedoch ein »Punkt« erreicht, in dem die Zerstörung unmöglich geworden.

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(Besinnung, S. 20-1)

Die Entscheidung

Doch all diese und andere Kennzeichnungen des Machtwesens* reichen niemals, weil wesenhaft nicht, zu, um die Machenschaft als solche zu erkennen und d.h. seynsgeschichtlich als eine Herrschaftsform des Sichverweigernden Seyns und seiner ungegründeten Wahrheit zu begreifen; denn solches Begreifen vollzieht sich allein in einem Entscheiden, durch das erst die Machenschaft als solche auf die eine Seite und damit überhaupt in ihrem enthüllten Wesen zum Stehen kommt.

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(Besinnung, S. 18-9)
*Man spricht vom »Dynamischen«, »Imperialen«, »Rationalem«, »Planetarischem«,
Die Steigerung der Weite und Schnelligkeit, der Billigkeit und Öffentlichkeit des »Erlebens« ist das Zeichen dafür, daß die letzten Schranken für die Gewalt der Machenschaft gefallen sind.

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(Besinnung, S. 17)

Erlebnis des Menschen

Sofern der Mensch auch im Zeitalter der zu ihrer uneingeschränkten Gewalt ermächtigten Machenschaft sich als Tier (Lebewesen) begreift, bliebt für ihn selbst (als »wir« und »ich« in gleicher Weise) nur noch das »Er-lebnis« als diejenige Einrichtung seinen Verhaltens und seiner Haltung, die ihm den Schein der Selbstbehauptung gegenüber dem Seienden im Umkreis der Machenschaft verstattet.

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(Besinnung, S. 17)

Machenschaft

Machenschaft heißt hier die alles machende und ausmachende Machbarkeit des Seienden, dergestalt, daß in ihr erst die Seiendheit des vom Seyn (und der Gründung seiner Wahrheit) verlassenen Seienden sich bestimmt. (...). Die Machenschaft ist das Sicheinrichten auf die Machsamkeit von Allem, so zwar, daß das Unaufhaltsame der unbedingten Verrechnung von Jeglichem vorgerichtet ist. Dergleichen läßt den »Fortschritt« nur noch am Rande zu, denn dieser scheint oder meint überwinden zu können die Zerstörung als das Anziechen des »Rückschritts«. Nun aber verfügt die Machenschaft das Seiende als solches in den ihr sich ständig zuspielenden Spielraum fortgesetzter Vernichtung.

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(Besinnung, S. 16)