Auslöscher und Umbringer

Alles, das auch nur im geringsten mit Kultur zu tun hat, wird beargwöhnt und so lange in Frage gestellt, bis es ausgelöscht ist. Die Auslöscher sind am Werk, die Umbringer. Wir haben es mit Auslöschern und Umbringern zu tun, an allen Ecken und Enden verrichten sie ihre mörderische Arbeit. Die Auslöscher und die Umbringer bringen die Städte um und löschen sie aus und bringen die Landschaft um und löschen sie aus.

Be***

(Auslöschung, S. 113).

Geschauspielerte Arbeit

Aber nicht nur in den sogenannten höheren Ständen wird die Arbeit heute meistens nur mehr noch geschauspielert, denn wirklich getan, auch unter dem sogenannten einfachen Volk ist diese Schauspielerei weit verbreitet, die Leute schauspielern an allen Ecken und Enden Arbeit, schauspielern Tätigkeit, wo sie in Wirklichkeit nichts als faulenzen und gar nichts tun und meisten auch noch, anstatt sich nützlich zu machen, den größten Schaden anrichten. Die meisten Arbeiter und Handwerker glauben heute, daß es genug ist, wenn sie den blauen Arbeitsanzug anziehen, ohne auch nur irgend etwas zu tun, von einer nützlichen Tätigkeit ganz zu schweigen, sie schauspielern Arbeit und ihr Kostüm ist der den ganzen Tag penetrant getragene blaue Arbeitsanzug, mit diesem rennen sie ununterbrochen umher und kommen tatsächlich sehr oft auch in Schweiß darin, aber dieser Schweiß ist ein falscher und deshalbe perverser und beruht nur auf geschauspielerter Arbeit, keiner wirklichen. Auch das Volk ist längst darauf gekommen, daß geschauspielerte Arbeit einträglicher ist, als wirklich getane, wenn auch bei weitem nicht gesünder, im Gegenteil, und schauspielert Arbeit nur noch, anstatt sie tatsächlich zu verrichten, wodurch die Staaten auf einmal, wie wir sehen, vor dem Ruin stehen. In Wahrheit und in Wirklichkeit gibt es nurmehr noch Schauspieler auf der Welt, die Arbeit spielen, keine Arbeiter. Alles wird geschauspielert, nichts mehr wird wirklich getan.

Be***

(Auslöschung, S. 94-95).

Titel und Zeugnisse

So gering schätzen sie das Leben an sich, daß sie nur die Zeugnisse und Titel sehen und sonst nichts. (...). So können wir ohne weiteres sagen, daß in der Menschheit nicht die Menschen unter sich verkehren, sondern nur die Zeugnisse. Nicht die Menschen werden seit Jahrhunderten gesehen, sondern nur Titel und Zeugnisse. (...). Da sie sich selbst viel zu gering schätzten, gaben sie sich eines Tages, vor Jahrhunderten schon, als Zeugnis und Titel aus, um vor sich selbst bestehen zu können. (...). Jahrhundertelang ist ein tatsächliches natürliches Leben in Deutschland und Österreich nicht mehr möglich, weil es von der Zeugnis- und Titelsucht aufgefressen und ausgelöscht worden ist.

Be***

(Auslöschung, S. 80, 81, 82).

Geistesbereicherung

Diese Einstellung ist aber widerwärtig, zu glauben, daß Geistesbereicherung nicht mehr notwendig ist, eine Erweiterung der Kenntnisse, gleich welcher, überflüssig, eine stete Weiterschulung des Charakters Zeitverschwendung. (...). Dabei ist es eine selbstverständlichkeit, so lange die Kenntnisse zu erweitern und den Charakter zu bilden und zu stärken, solange man existiert. Denn wer aufhört, seine Erkenntnisse zu erweitern und seinen Charakter zu stärken, also an sich zu arbeiten, um soviel wie möglich aus sich zu machen, hat aufgehört zu leben (...).

Be***

(Auslöschung, S. 76, 77).

Der Nichtstuer als der Geistesmensch

Der Nichtstuer als der Geistesmensch ist tatsächlich in den Augen derer, die unter nichts tun, tatsächlich nichts tun verstehen und die als Nichtstuer auch tatsächlich gar nichts tun, weil in ihnen während des Nichtstuens gar nichts vorgeht, die größte Gefahr und also der Gefährlichste.

Be***

(Auslöschung, S. 48).

Schwere und Gewicht

Leider, sagte ich zu Gambetti, sind die schweren Wörter nicht immer die gewichtigsten, wie die schwere Sätzen nicht immer die gewichtigsten sind.

Be***

(Auslöschung, S. 10).

Wie aus Blei

Um wie viel höher also, sagte ich zu Gambetti, seien die Leistungen unserer Philosophen und Schriftsteller einzuschätzen. Jedes Wort, sagte ich, zieht unweigerlich ihr Denken herunter, jeder Satz drückt, gleich was sie sich zu denken getraut haben, zu Boden und drückt dadurch immer alles zu Boden. Deshalb sei auch ihre Philosophie und sei auch, was sie dichten, wie aus Blei.

Be***

(Auslöschung, S. 9).

Wörter wie Bleigewichte

Die deutschen Wörter hängen wie Bleigewichte an der deutschen Sprache, sagte ich zu Gambetti, und drücken in jedem Fall den Geist auf eine diesem Geist schädliche Ebene. Das deutsche Denken wie das deutsche Sprechen erlahmen sehr schnell unter der menschenunwürdigen Last seiner Sprache, die alles Gedachte, noch bevor es überhaupt ausgesprochen wird, unterdrückt; unter der deutschen Sprache habe sich das deutsche Denken nur schwer entwickeln und niemals zur Ganze entfalten können im Gegensatz zum romanischen Denken unter den romanischen Sprachen, wie die Geschichte der jahrhundertelangen Bemühungen der Deutschen beweise.

Be***

(Auslöschung, S. 8).

Wörter gleich Gewichte

Über die Sprache soll er gesagt haben, daß sie vor allem aus Wörtern gleich Gewichten bestehe, von welchen die Gedanken fortwährend herunter und zu Boden gedrückt und dadurch in keinem einzigen Falle in ihrer ganzen Bedeutung und tatsächlichen Unendlichkeit offenbar werden könnten. Die Sprache belaste das festzuhaltende Denken in unglücklichster Weise und reduziere es in jedem Falle auf einen fortwährenden Schwächezustand des Geistes, mit welchem sich der Denkende aber abzufinden habe.

Be***

(Die Billigesser, S. 194-5).

Der einzelne und die Masse

Wer nicht schon sehr früh einen Großteil seiner Energie allein darauf verwende, sich gegen den Massenwahnsinn zu stemmen, sei unweigerlich dem Stumpfsinn anheimgefallen, so er. Man müsse aber gleichzeitig mit der Geschichte als Masse wie mit der Gegenwart als Masse fertig werden, um überleben zu können, nur den wenigsten gelinge das. Der einzelne habe, genau genommen, immer alles gegen sich und er habe immer gegen alles mit sich selbst fertig zu werden in einem Prozeß, welcher naturgemäß immer nur ein todlicher Prozeß sein könne. Das Leben oder der Existenz seien nichts anderes als der unaufhörliche und tatsächlich ununterbrochene verzweifelte Versuch, sich in allen möglichen Beziehungen aus allem herauszuretten in die Zukunft, welche immer wieder nur diesen gleichen unendlichen tödlichen Prozeß eröffne. Die Masse lehne ja schon den Gedanken, geschweige denn das Denken ab, weil sie sonst augenblicklich vernichtet sei, so hätten wir es mit einer vollkommen gedankenlosen Masse zu tun, die im Grunde gegen nichts, aber immer gegen das Denken sei.

Be***

(Die Billigesser, S.160-1).

Alte Esche und alte Eiche

Immer, wenn ich ihn in der letzten Zeit in den Wertheimsteinpark hinein begleitet hatte, war es ihm in der Nähe der alten Esche, oder in der Nähe der alten Eiche unmöglich gewesen, nicht auf den Umstand zurückzukommen, daß er an diesem in Frage stehenden Tage, aus was für einen Grund immer, nicht zur alten Esche, sondern zur alten Eiche gegangen war, als gründete sich schließlich und endlich für ihn alles, was auf diesen Entschluß hatte folgen müssen, auf dieses Ereignis, wie er auch immer wieder alles später Eingetretene auf diesen Entschluß zurückführte, und es war mir immer vorgekommen, als wäre sein Denken überhaupt in ein solches vor dem Ereignis, daß er urplötzlich zur alten Eiche und nicht zur alten Esche gegangen war und in ein solches nach diesem Ereignis geteilt, was er auch in Worten immer wieder zum Ausdruck gebracht hatte und was mich die erste Zeit doch immer recht irritiert, schließlich und endlich aber nicht mehr im geringsten gestört hatte, weil es mir aufeinmal selbst, auf ihn bezogen, plausibel gewesen war. Vor dem Ereignis, hatte er sehr oft gesagt und vorausgesetzt, daß ich gewußt habe, um was für ein Ereignis es sich handelte, wäre er in dieser oder jener Verfassung gewesen, nach dem Ereignis in dieser oder jener, wie er vor allem sehr oft gesagt hatte, daß sein Denken vor dem Ereignis ein volkommen anderes gewesen, als nach dem Ereignism welches wahrscheinlich das wichtigste Ereignis seines Lebens überhaupt gewesen war, wie ich immer deutlicher gesehen hatte und eingesehen hatte und einsehen hatte müssen. Alle Fäden, alle Zusammenhänge also in seinem Kopf, waren im Wertheimsteinpark als einem Zentrum seines Denkens miteinander in Berührung gekommen, darauf gründete sich in ihm alles, denke ich. Der Wertheimsteinpark war, von dem Ereignis an, die absolute Schaltzentrale seines Denkens gewesen, ganz gleich, wo er sich zu welchem Zeitpunkt nach dem Ereignis aufgehalten hatte. Er hatte mir gegenüber einmal angedeutet, daß selbst seine Träume ohne den Wertheimsteinpark undenkbar geworden waren von dem Ereignis an und daß alle Träume ausschließlich immer auf den Wertheimsteinpark zurückzuführen gewesen seien, sehr oft habe er diesen Umstand naturgemäß mißtraut, aber er sei immer wieder auf diese Tatsache gekommen, wenn er sich die Mühe gemacht habe, einen solchen Traum nachzugehen, wie er immer, wenn er, ganz gleich welcher Sache nachgegangen sei, auch diese Sache auf das Ereignis im Wertheimsteinpark zurückführen hatte können, es war ihm mit der Zeit eine Selbstverständlichkeit geworden, jeder wichtigeren Sache nachzugehen und sie ganz einwandfrei auf den Wertheimsteinpark zurückzuführen. Natürlich mußte diese möglicherweise verrückte, aber wahrscheinlich noch sein Denken schärfende Vorgangsweise, alles zu Denkende aufzulösen und zuerst einmal auf den Wertheimsteinpark zurückzuführen und dadurch erst tatsächlich zu klären, seiner wissenschaftlichen Arbeit zugute kommen und er selbst war sich der Nützlichkeit seiner Übung bewußt, denn die Fortschritte, die sein Denken dadurch gemacht hatte, waren ganz deutlich in seinen Äußerungen erkennbar gewesen, die großen Fortschritte also, die er in den letzten Jahren aufgrund dieser möglicherweise absurden Methode gemacht hatte. Die mit ihm geführten Gespräche und überhaupt Unterhaltungen hatten auf diese Weise mit der Zeit einen sehr hohen Schwierigkeitsgrad erreicht, waren aber gerade dadurch umso erfrischender gewesen. Zugegeben hatte der mit ihm unvermittelt in Berührung gekommene Außenstehende glauben müssen, es mit einem hochgradig Verrückten zu tun zu haben und ich selbst hatte lange Zeit diesen Eindruck haben müssen (...).

Be***

(Die Billigesser, S. 134-5).

Die hohen Interessen der Wirklichkeit

Die Not der Zeit hat den kleinen Interessen, der Gemeinheit des alltäglichen Lebens eine so große Wichtigkeit gegeben, die hohen Interessen der Wirklichkeit und die Kämpfe um dieselben haben alle Vermögen und alle Kraft des Geistes sowie die äußerlichen Mittel so sehr in Anspruch genommen, daß für das höhere, innere Leben, die reinere Geistigkeit, der Sinn sich nicht frei erhalten konnte und die bessern Naturen davon befangen und zum Teil darin aufgeopfert worden sind — weil der Weltgeist in der Wirklichkeit so sehr beschäftigt war, daß er sich nicht nach innen kehren und sich in [sich] selbst sammeln konnte.

He***

(Heidelberger Antrittsrede, 1816).

Erklärung der Philosophie

Man ist überhaupt der Erklärung der Philosophie müde geworden, daß man sie mißverstanden habe.

He***

(Solger-Rezension, 846).

In der Hauptstadt

Man sei in einem Staate, was man sei, so ist es am besten, es in der Hauptstadt zu sein; der Aufenthalt in einer Provinzstadt kann immer für eine Verweisung angesehen werden, wenn man es auch selbst wäre, der sich verwiese.

He***

(brieflich an Niethammer).