Verfall des Philosophierens zu Schuldisziplinen

Wenn versucht wird, den Gesamtbestand des antiken Philosophierens in Schuldisziplinen einzufächern, ist damit zugleich gesagt, daß die Art des Erkennens nicht ein lebendiges Philosophieren aus den Problemen selbst heraus ist, sondern dergestalt, wie sonst Wissensgebiete in den Wissenschaften behandelt werden. Die Behandlungsart dieser Gebiete der Philosophie wird jetzt zu einer Wissenschaft, zur εστημη im Aristotelischen Sinne.

Dieser Prozeß der schulmäßen Ausbildung und damit des Verfalls des eigentlichen Philosophierens setzt schon ein zur Zeit Platons in seiner eigenen Schulakademie.

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(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 54-5).

Angriff der Philosophie

Es wäre ein Mißverständnis, wollten wir diesen Eindruck der Hoffnungslosigkeit des Philosophierens im geringsten abschwächen oder nachträglich vermitteln, indem wir darauf hinweisen, daß es am Ende so schlimm doch nicht steht, daß die Philosophie in der Geschichte der Menschheit mancherlei geleistet hat und dergleichen. Das ist aber nur Gerede, das von der Philosophie wegredet. Vielmehr muß dieser Schrecken erhalten und durchgehalten werden. In ihm offenbart sich gerade ein Wesentliches alles philosophischen Begreifens, daß der philosophische Begriff ein Angriff ist auf den Menschen und gar auf den Menschen im Ganzen — aufgejagt aus der Alltäglichkeit und zurückgejagt in den Grund der Dinge. Der Angreifer aber ist nicht der Mensch, das zweifelhafte Subjekt des Alltags und der Wissensseligkeit, sondern das Da-sein im Menschen richtet im Philosophieren den Angriff auf den Menschen.

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(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 31).

Philosophie und Beruhigung

Philosophie ist das Gegenteil aller Beruhigung und Versicherung. Sie ist der Wirbel, in den der Mensch hereingewirbelt wird, um so allein ohne Phantastik das Dasein zu begreifen. Gerade weil diese Wahrheit solchen Begreifens ein Letztes und Äußerstes ist, hat sie die höchste Ungewißheit zur ständigen und gefährlichen Nachbarschaft.

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(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 28-29).

Ungewiss

Wie sind des Philosophierens ungewiß

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(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 27).

Eingang der Akademie

ουδεις αγεωμετρητος εισιτω: Keiner soll Zugang haben, der nicht in der Geometrie, in der mathematischen Erkenntnis, bewandert ist.

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(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 23).

Leerste Erkenntnis

Wenn wir diesen Zusammenhang zwischen mathematischer Erkenntnis und philosophischer Erkenntnis von vornherein grundsätzlich ablehnen, ist das Motiv für diese Ablehnung dieses: Die mathematische Erkenntnis ist in sich ihrem Gehalte nach, obwohl sie gegenständlich eine großen Reichtum einschließt, die leerste Erkenntnis, die sich denken läßt, und als diese zugleich für den Menschen die unverbindlichste..

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 25).

Inneres Gewicht

Diese Voraussetzung, daß am Ende durch die Beschränkung auf Beweisbares die Zweideutigkeit grundsätzlich beseitigt werden könnte, geht auf eine tieferliegende zurück: daß überhaupt das Beweisbare das Wesentliche auch in der Philosophie sei. Aber vielleicht ist das ein Irrtum, vielleicht ist beweisbar nur, was im Wesentlichen belanglos ist, und vielleicht trägt all das, was erst bewiesen werden soll, kein inneres Gewicht in sich.

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(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 21).

Zweideutigkeit der Philosophie

Die Zweideutigkeit der Philosophie überhaupt besagt, daß sie sich als Wissenschaft und als Weltanschauung gibt und beides nicht ist.

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(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 20-21).

Der Lehrer der Philosophie

Ist er vielleicht ein Komödiant — wer kann das wissen?

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(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 18).

Inbegriffe

Metaphysik ist ein Fragen, in dem wir in das Ganze des Seienden hineinfragen und so fragen, daß wir selbst, die Fragenden, dabei mit in die Frage gestellt, in Frage gestellt werden.

Entsprechend sind die Grundbegriffe nicht Allgemeinheiten, keine Formeln für allgemeine Eigenschaften eines Gegenstandfeldes (Tier, Sprache), sondern sie sind Begriffe eigentümlicher Art. Sie begreifen je das Ganze in sich, sie sind In-begriffe. Aber sie sind Inbegriffe noch in einem zweiten, ebenso wesentlichen und mit dem ersten zusammenhängenden Sinne: Sie begreifen je immer den begreifenden Menschen und sein Dasein mit in sich — nicht nachträglich, sondern so, daß sie nicht jenes sind ohne dieses, und umgekehrt. Kein Begriff des Ganzen ohne Inbegriff der philosophierenden Existenz. Metaphysisches Denken ist inbegriffliches Denken in diesem doppelten Sinne: auf das Ganze gehend und die Existenz durchgreifend.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 13).

Grundstimmung

Philosophie geschieht je in einer Grundstimmung.

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(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 10).

Heimweh

Novalis sagt einmal in einem Fragment: »Die Philosophie ist eigentlich Heimweh, ein Trieb überall zu Hause zu sein«.

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(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 7).

Was ist Philosophie?

Philosophie ist Philosophieren.

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(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 6).

Die Leitung des Irrenhauses

Der Oberaufseher, Arzt und Psychologe müssen folgende allgemeine Eigenschaften, Talent, Kunde ihres Fachs und guten Willen zur Ausübung desselben haben. Sie müssen Beobachtungsgabe und Scharfblick besitzen, um ins Innerste der Herzen zu dringen und die verborgensten Triebfedern der Verkehrthelt auszuspähn; Schnelligkeit im Auffassen der Gegenstände, im Entschliessen und Inprovisiren, um jedes momentane Ereigniss zu nützen; Muth, um die erschütterndesten Scenen auszuhalten; Geduld und Beharrlichkeit, um die misslungnen Versuche solang zu wiederholen, bis sie zum Zweck führen. Der ganze Vorrath von Kenntnissen, von allgemeiner Menschenkenntniss, Philofophie, Psychologie und Arzneykunde stehe ihnen zu Gebot, der zur Ausübung ihres Fachs erfordert wird. Dabey fehle es ihnen nicht an Uebung, ihre Kenntnisse auf concrete Fälle, Behufs des Zwecks der Heilung Irrender, anzuwenden. Ihr Charakter sey unbescholten, ihr Herz edel; Menschenliebe und Pflichtgefühl leite jeden ihrer Schritte; fern sey aller Eigennutz, Liebe für die Kunst und Trieb, das vorgesteckte Ziel zu erreichen, belebe ihre Thätigkeit. Sanftmuth und Ernst wechsele auf ihrem Gesicht, wie die Umstände es wollen; ihr Herz sey so fern von kalter Barbarey als von ohnmächtiger Gelindigkeit. Durch Ueberlegenheit ihrer Talente, Mässigung ihrer Leidenschaften und durch Würde in ihrem Betragen sollen sie sich die Liebe und Achtung der Irrenden erwerben. Furcht, als Folge einer tyrannischen Behandlung, ist mit Hass und Verachtung gepaart. Meistens find die Verrückten noch klug genug, die Schwäche und den Unverstand ihrer Vorgesetzten bemerken zu können.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 474-5.

Eintheilungsgrund der Kranken

Soll irgend ein fixer Eintheilungsgrund bestehen, so würde ich denselben am liebsten von dem physischen Kurplan hernehmen. Anfangs bekömmt jeder neue Irrende seine Lection für sich, bis er an Gehorsam gewöhnt und zur Kur gehörig vorbereitet ist. Dann werden mehrere, die auf einer Stufe stehn, zusammen geübet und unterrichtet. Jede Klasse, bis zu den Reconvalescenten, hat keine Gemeinschaft mit einander, wenn nemlich das Beispiel schaden kann.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 472.

Staatstollhäuser

Tollhäuser müssen daher öffentliche Anstalten seyn, und unter der speciellen Aufsicht des Staats stehn. Privat-Tollhäuser, wie sie sonst in England waren, sind der bürgerlichen Sicherheit gefährlich. Mir sind Fälle bekannt, dass selbft in öffentlichen Tollhäusern Menschen eingesperrt gewesen sind, die nicht verrückt waren. Wie viel leichter ist dies in Privat-Anstalten möglich, in welchen die Aufnahme ohne öffentliche Auctorität geschieht, und deren Inhaber keine Untersuchung fürchten dürfen. Sie sind Privat-Gefängniffe, für welche Niemand sicher ist, der zwischen Habsucht und Bossheit ins Gedränge kömmt.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 465.

Einiges zur Einrichtung eines Irrenhauses

Ich will einige rohe Umrisse eines Irrenhauses hinwerfen, das als Heilanstalt wirken soll, und zwar vorzüglich solche, die es als psychische Heilanstalt haben muss. Zuvörderst gebe man der Anftalt den mildesten Namen, nenne sie eine Pensionsanstalt für Nervenkranke, ein Hospital für die psychische Kurmethode, und lasse nur solche Tollhäuser übrig, die sich vermöge ihrer Verfassung dazu qualificiren. Man verheimliche die Aufnahme der Irrenden, nehme zuweilen auch andere Kranke auf, die der psychischen Heilmethode bedürfen, und scheide augenblicklich die Reconvalescenten von den Kranken, damit jene in dem Spiegel ihrer Gefellschaft ihre Krankheit nicht entdecken. Dann muss die Irrenanstalt als Heilanstalt nur so gross seyn, dass die Kräfte der äusseren und besonders der inneren Administration sie bestreiten können. Schwerlich dürfen mehr als zwanzig Kranke zu gleicher Zeit aufgenommen werden. Die Irrenanstalt muss in einer anmuthigen Gegend liegen, die Seen, Flüsse, Wasserfälle, Berge und Felder, Städte und Dörfer in der Nähe hat. Sie muss Ackerbau, Viehzucht und Gärtnerey besitzen. Der Garten ist vorzüglich für Kranke, denen man nicht ganz trauen darf. Er sey mit einer Mauer von der Höhe einer Brustwehr eingeschlossen, auf derselben stehe ein Gitter, damit die Aussicht nicht ganz gehemmt werde. Ein einziges grosses Gebäude, in welchem alles zusammengefasst ist, hat zwar für die Verwaltung grosse Vortheile. Das Zusammenseyn aller Gegenstände, die beachtet werden müssen, erleichtert die schnelle Uebersicht. Allein noch grösser sind die Nachtheile. Daher würde ich eher für die Form einer Meierey stimmen, die aus einem Hauptgebäude und mehreren um dasselbe zerstreut liegenden kleinen Häusern bestände. Die Zimmer müssen einfach meublirt seyn, und im Winter mässig erwärmt werden. Einige Kranke vertragen die Hitze des Sommers nicht. Diese bekommen kühle Schlafgemächer im Erdgeschoss, und am Tage einen Aufenthaltsort in Grotten, am Waffer, unter dickschattigen Bäumen.
Das Geschirr der Rasenden besteht aus Leder, Holz oder Metall, damit fie es nicht zerbeissen.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 453-463.

Kurplan zur Heilung des Blödsinns

Beim Entwurf des Kurplans zur Heilung des Blödsinns müssen zuvörderst die Krankheiten von welchen er Symptom ist, wohl unterschieden werden. Nur der rein dynamische Blödsinn, in welchem die Organisation des Denkorgans nicht sichtbar verletzt, aber seiner Reizbarkeit beraubt ist, scheint heilbar zu seyn. Im rein organischen Blödsinn ist das Organ, auf welches es beim Denken ankömmt, entweder zerstört oder in eine fremde Materie verwandelt. Dieser Zustand ist absolut unheilbar, sofern er eine Zerstörung der Vegetations-Instrumente voraussetzt, ohne welche keine Umwandlung des kranken Zustandes in einen gesunden möglich ist.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 432.

Sprachfähigkeit von Blödsinnigen

Nach diesen Zuständen der Seelenvermögen richtet sich die Sprachfähigkeit der Blödsinnigen. In der Regel sprechen sie wenig; in einem höhern Grade ihrer Krankheit murmeln sie vor sich hin, sprechen nur einzelne Worte deutlich, oder in halbartikulirten Tönen; im höchsten Grade sind sie ganz stumm, wie eine Säule und unterbrechen periodisch diese dumpfe Stille mit einen unsinnigen Lachen oder mit einem gellenden und thierischen Geschrey, Nur wenige Kretinen sprechen alles, einige nur einzelne Worte deutlich; andere lallen bloss und geben einen hellen Laut und ein unartikulirtes Gebrüll von sich; andere sind endlich ganz stumm.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 410.

Der Blödsinn

Blödsinn ist abnorme Asthenie des Verstandes. Denn die normale in der Kindheit ist nicht Blödsinn. Er gehört also unter die Lähmungen der Seelenvermögen. Doch sind nur solche Lähmungen Blödsinn, in welchen die Urtheilskraft über Dinge fehlt, über welche der gemeine Menschenverstand urtheilen soll. Ob es aber je einen einfachen Verstandes-Mangel gegeben habe, zweifle ich fast. Fast ohne Ausnahme immer steht die Erregbarkeit und Energie der übrigen Seelenvermögen zugleich auch unter der Norm.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 402.

Kur der Narrheit

Die Kur der Narrheit ist schwer. Denn die bey ihr vorhandene Schwäche und Desorganisation aller Seelenvermögen gründet sich entweder auf eine ursprüngliche Anlage, oder ist Folge heftiger Erschütterungen des Seelenorgans, Wirkung anderer Geisteszerrüttungen, und daher meistens ein veralterter Fehler. Die Stumpfheit des Verstandes macht die Kranken taub für alle Reize; sie haften auf nichts, wegen der Flucht ihrer Vorftellungen.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 401.

Die Narrheit

Narrheit ist allgemeine Verkehrtheit und Schwäche der Seelenkräfte ohne Tobsucht und Biödsinn, doch dem letzten am nächsten verwandt. Durch das erste Merkmahl unterscheidet sie sich von dem fixen Wahnsinn; und von der Tobsucht und dem Blödsinn dadurch, dass ihr die Merkmahle dieser Krankheiten fehlen. Freilich sind meine Charaktere negativ, und daher ist das Object nur unter der Voraussetzung bestimmt, dass es ausser den aufgeführten Arten der Geisteszerrüttungen keine anderen giebt. Auch fühle ich es nur zu gut, dass die Narrheit weniger genau, als die übrigen Arten definirt sey. Vielleicht ist es gar nicht einmal Art, sondern ein Chaos mehrerer specifisch - verschiedner Zustände, was ich unter diesem Namen zusammengestellt habe.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 396.

Anfall von Tobsucht

Meistens fängt der Anfall mit allerhand körperlichen Phänomenen an. Es entsteht ein Gefühl brennender Hitze im Unterleibe, grosser Durft, verschlossener Leib. Die Hitze steigt aufwärts zur Brust, zum Hälse und Kopf, das Gesicht wird roth, die Schlagadern des Halses und der Schläfe pulsiren heftig. Endlich dehnt sich dieser Process bis zum Gehirn aus, und in diesem Augenblick entsteht der blinde und unwiderstehliche Drang zum Morden, wie die Fallsucht erfolgt, wenn ihre vorlaufende Aura das Gehirn erreicht hat. Die Krankheit ist anhaltend, doch meistens periodisch. Die Anfälle kehren zu verschiednen Zeiten bald früher bald später wieder.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 389.

Kur der Tobsucht

Die Kur der Tobsucht bedarf noch einer grossen Läuterung. Viele Beobachtungen über dieselbe sind unbrauchbar, weil sie sich auf kein haltbares Object, sondern bald auf die wahre Raserey, bald auf jede andere Geisteszerrüttung beziehn, die mit heftigen Handlungen verbunden war.

Zu diesem Behuf muss man in der Regel der im Inneren vorhandenen Erregung freien Spielraum lassen, damit sie sich auf die ihr natürlichste Art äussern könne, aber sich hüten, die irritablen Theile durch heterogene Reize zu einer gezwungenen Thätigkeit zu nöthigen.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 381-2.

Zwangsmaassnahmen bei Tobsucht

Das Binden , die Zwangswesten, das Einsperren in Tollkoben und das Anschliessen an Ketten ist meistens zweckwidrig, besonders solang als man noch Hoffnung hat, den Kranken zu heilen. Für unheilbare Rasende in den Aufbewahrungsanstalten müssen noch eigene Mittel erfunden Werden. Die Zähmungen haben keinen andern Zweck, als dass der Kranke sich und andern nicht schaden. Ueber denselben dürfen sie also auch nicht hinausgehn. Meistens ist ein freier Platz oder ein bewegliches Rad zureichend. In bösen Fällen legt man ihm eine Zwangswefte an, oder einen Gurt um den Leib, welcher hinten einen Ring hat, der an einen festen Gegenstand angehängt werden kann. Ueberfällt den Kranken plötzlich ein Anfall seiner Wuth, wenn er in Freiheit ist, so bediene man sich des Halbzirkels, einer Rüstung, durch welche man vor Verletzungen desselben gesichert ist, oder man lasse die Dienstleute in Masse anrücken.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 385-6.

Ursachen der Tobsucht

Die Ursachen der Tobsucht sind verschieden. Mittleres Alter, männliches Geschlecht, magerer Körper, cholerisches Temperament, heftiger und leidenschaftlicher Charakter, heisses Klima und eine vorhandene Melancholie fördern ihre Entstehung. Schwangerfchaft, Geburt, heftige Anstrengungen des Seelenorgans, Zorn, Aerger, Schwächungen durch Ausleerungen, Onanie, Gefässfieber, Anomalien der Menstruation und Hämorrhoiden erregen sie wirklich. Merkwürdig ist es , dass diese Ursachen, mehr Beziehung auf den Körper, als auf die Seele haben. So erregen auch alle Pflanzengifte, die den Geist zerrütten, fast durchaus Raserey.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 380.

Tobsucht eine köperliche Krankheit

Die Krankheit ist einfach, in der Wuth ohne Verkehrtheit; oder zusammengesetzt, wenn sie mit einem allgemeinen oder partiellen Wahnsinn, mit Narrheit, Blödsinn oder mit einem Gefässfieber, z.B. in der Phrenesie, verbunden ist. Nach diefer Schilderung der Phänomene der Tobfucht kann ich sie nicht für eine psychische, sondern muss sie vielmehr für eine körperliche Krankheit halten. Sie ist nicht, wie Boerhaave will, ein höherer Grad der Melancholie, sondern eine eigne, specifisch von ihr verschiedene Krankheit. Der Melancholische handelt absurd im Gefolge kranker Vorftellungen, der Tobfüchtige im Gefolge eines blinden Impülses. Beide können zerstören, wüthen und morden, aber aus verschiedenen Bewegursachen, dieser wie ein Automat, jener nach Zwecken.

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Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, S. 376.