»Urgrund«

Die Unableitbarkeit eines Ursprünglichen schließt aber eine Mannigfaltigkeit der dafür konstitutiven Seinscharaktere nicht aus. Zeigen sich solche, dann sind sie existenzial gleich ursprünglich. Das Phänomen der Gleichursprünglichkeit der konstitutiven Momente ist in der Ontologie oft mißachtet worden zufolge einer methodisch ungezügelten Tendenz zur Herkunftsnachweisung von allem und jedem aus einem einfachten »Urgrund«.

H***
(Sein und Zeit, S. 131).

Abgeriegeltes Dasein

Zunächst »bin« nicht »ich« im Sinne des eigenen Selbst, sondern die Anderen in der Weise des Man. Aus diesem her und als dieses werde ich mir »selbst« zunächst »gegeben«. Zunächst ist das Dasein Man und zumeist bleibt es so. Wenn das Dasein die Welt eigens entdeckt und sich nahebringt, wenn es ihm selbst sein eigentliches Sein erschließt, dann vollzieht sich dieses Entdecken von »Welt« und Erschließen von Dasein immer als Wegräumen der Verdeckungen und Verdunkelungen, als Zerbrechen der Verstellungen, mit denen sich das Dasein gegen es selbst abriegelt.

H***
(Sein und Zeit, S. 129).

Das Man-selbst

Das Selbst des alltäglichen Daseins ist das Man-selbst, das wir von dem eigentlichen, daß heißt eigens ergriffenen Selbst unterscheiden. Als Man-selbst ist das jeweilige Dasein in das Man zerstreut und muß sich erst finden. Diese Zerstreuung charakterisiert das »Subjekt« der Seinsart, die wir als das besorgende Aufgehen in der nächst begegnende Welt kennen. Wenn das Dasein ihm selbst als Man-selbst vertraut ist, dann besagt das zugleich, daß das Man die nächste Auslegung der Welt und des In-der-Welt-seins vorzeichnet. Das Man-selbst, worum-willen das Dasein alltäglich ist, artikuliert die Verweisungszusammenhang der Bedeutsamkeit. Die Welt des Daseins gibt das begegnende Seiende auf eine Bewandtnisganzheit frei, die dem Man vertraut ist, und in den Grenzen, die mit der Durchschnittlichkeit des Man festgelegt sind.

H***
(Sein und Zeit, S. 129).

Das Man entlastet das alltägliche Dasein

Das Man ist überall dabei, doch so, daß es sich auch schon immer davongeschlichen hat, wo das Dasein auf Entscheidung drängt. Weil das Man jedoch alles Urteilen und Entscheiden vorgibt, nimmt es dem jeweiligen Dasein die Verantwortlichkeit ab. Das Man kann es sich gleichsam leisten, daß »man« sich ständig auf es beruft. Es kann am leichtesten alles verantworten, weil keiner es ist, der für etwas einzustehen braucht.

Das Man entlastet so das jeweilige Dasein in seiner Alltäglichkeit. Nicht nur das, mit dieser Seinsentlastung kommt das Man dem Dasein entgegen, insofern in diesem die Tendenz zum Leichtnehmen und Leichtmachen liegt. Und weil das Man mit der Seinsentlastung dem jeweiligen Dasein ständig entgegenkommt, behält es und verfestigt es seine hartnäckige Herrschaft.

H***
(Sein und Zeit, S. 127-8).

Die Öffentlichkeit

Abständigkeit, Durchschnittlichkeit, Einebnung, konstituieren als Seinsweisen des Man das, was wir als »die Öffentlichkeit« kennen.

Die Öffentlichkeit verdunkelt alles und gibt das so Verdeckte als das Bekannte und jedem Zugängliche aus.

H***
(Sein und Zeit, S. 127).

Durchschnittlichkeit

Das Man hat selbst eigene Weisen zu sein. Die genannte Tendenz des Mitseins, die wir die Abständigkeit nannten, gründet darin, daß das Miteinandersein als solches die Durchschnittlichkeit besorgt.

Die Sorge der Durchschnittlichkeit enthüllt wieder eine wesenhafte Tendenz des Daseins, die wir die Einebnung aller Seinsmöglichkeiten nennen.

H***
(Sein und Zeit, S. 127).

Das Wer ist das Man

Das Wer ist nicht dieser und nicht jener, nicht man selbst und nicht einige und nicht die Summe Aller. Das »Wer« ist das Neutrum, das Man.

H***
(Sein und Zeit, S. 126).

Herrschaft der Anderen

In dieser zum Mitsein gehörigen Abständigkeit liegt aber: das Dasein steht als alltägliches Miteinandersein in der Botmäßigkeit der Anderen. Nicht es selbst ist, die Anderen haben ihm das Sein abgenommen. Das Belieben der Anderen verfügt über die alltägliche Seinsmöglichkeiten des Daseins. Diese Anderen sind dabei nicht bestimmte Andere. Im Gegenteil, jeder Andere kann sie vertreten. Entscheidend ist nur die unauffällige, vom Dasein als Mitsein unversehens schon übernommene Herrschaft der Anderen. Man selbst gehört zu den Anderen und verfestigt ihre Macht. »Die Anderen« die man so nennt, um die eigene wesenhafte Zugehörigkeit zu ihnen zu verdecken, sind die, die im alltäglichen Miteinandersein zunächst und zumeist »da sind«.

H***
(Sein und Zeit, S. 126).

Abständigkeit

Im Besorgen dessen, was man mit, für und gegen die Anderen ergriffen hat, ruht ständig die Sorge um einen Unterschied gegen die Anderen, sei es auch nur, um den Unterschied gegen sie auszugleichen, sei es, daß das eigene Dasein — gegen die Anderen zurückbleibend — im Verhältnis zu ihnen aufholen will, sei es, daß das Dasein im Vorrang über die Anderen darauf aus ist, sie niederzuhalten. Das Miteinandersein ist — ihm selbst verborgen — von der Sorge um diesen Abstand beunruhigt. Existenzial ausgedrückt, hat es den Charakter der Abständigkeit.

H***
(Sein und Zeit, S. 126).

Das Sichkennenlernen

Weil nun aber zunächst und zumeist die Fürsorge sich in den defizienten oder zum mindesten indifferenten Modi aufhält — in der Gleichgültigkeit des Aneinandervorbeigehens —, bedarf das nächste und wesenhafte Sichkennen ein Sichkennenlernens.

H***
(Sein und Zeit, S. 124).

Das Sichkennen

Die zum Mitsein gehörige Erschlossenheit des Mitdaseins Anderer besagt: im Seinsverständnis des Daseins liegt schon, weil sein Sein Mitsein ist, das Verständnis Anderer. Dieses Verstehen ist, wie Verstehen überhaupt, nicht eine aus Erkennen erwachsene Kenntnis, sondern eine ursprüngliche existenziale Seinsart, die Erkennen und Kenntnis allererst möglich macht. Das Sichkennen gründet in dem ursprünglich verstehenden Mitseins.

H***
(Sein und Zeit, S. 124).

Die vorausspringende Fürsorge

Die Fürsorge hat hinsichtlich ihrer positiven Modi zwei extreme Möglichkeiten. Sie kann dem Anderen die »Sorge« gleichsam abnehmen und im Besorgen sich an seiner Stelle setzen, für ihn einspringen.

Ihr gegenüber besteht die Möglichkeit einer Fürsorge, die für den Anderen nicht so sehr einspringt, als daß sie ihm in seinem existenziellen Seinkönnen vorausspringt, nicht um ihm die »Sorge« abzunehmen, sondern erst eigentlich als solche zurückzugeben. Diese Fürsorge, die wesentlich die eigentliche Sorge — das heißt die Existenz des Anderen betrifft und nicht ein Was, das er besorgt, verhilft dem Anderen dazu, in seiner Sorge sich durchsichtig und für sie frei zu werden.

H***
(Sein und Zeit, S. 122).

Alltägliche Weisen der Fürsorge

Die »Fürsorge« als faktische soziale Einrichtung zum Beispiel gründet in der Seinsverfassung des Daseins als Mitsein. Ihre faktische Dringlichkeit ist darin motiviert, daß das Dasein sich zunächst und zumeist in der defizienten Modi der Fürsorge hält. Das Für-, Wider-, Ohne-einandersein, das Aneinandervorbeigehen, das Einander-nichtsangehen sind mögliche Weisen der Fürsorge. Und gerade die zuletzt genannten Modi der Defizienz und Indifferenz charakterisieren das alltägliche und durchschnittliche Miteinandersein.

H***
(Sein und Zeit, S. 121).

Die Fürsorge

Das Seiende, zu dem sich das Dasein als Mitsein verhält, hat aber nicht die Seinsart des zuhandenen Zeugs, es ist selbst Dasein. Dieses Seiende wird nicht besorgt, sondern steht in der Fürsorge.

H***
(Sein und Zeit, S. 121).

Ein defizienter Modus des Mitseins

Das Mitsein bestimmt existenzial das Dasein auch dann, wenn ein Anderer faktisch nicht vorhanden und wahrgenommen ist. Auch das Alleinsein des Daseins ist Mitsein in der Welt. Fehlen kann der Andere nur in einem und für ein Mitsein. Das Alleinsein ist ein defizienter Modus des Mitseins, seine Möglichkeit ist der Beweis für dieses. Das faktische Alleinsein wird andererseits nicht dadurch behoben, daß ein zweites Exemplar Mensch »neben« mir vorkommt oder vielleicht zehn solcher.

H***
(Sein und Zeit, S. 120).

Mitdasein

Auf dem Grunde dieses mithaften In-der-Welt-seins ist die Welt je schon immer die, die ich mit den Anderen teile. Die Welt des Daseins ist Mitwelt. Das In-Sein ist Mitsein mit Anderen. Das innerweltliche Ansichsein dieser ist Mitdasein.

H***
(Sein und Zeit, S. 118).

»Ich« als formale Anzeige

Man kann wohl immer ontisch rechtmäßig von diesem Seienden sagen, daß »Ich« es bin. Die ontologische Analytik jedoch, die von solchen Aussagen Gebrauch macht, muß sie unter grundsätzliche Vorbehalte stellen. Das »Ich« darf nur verstanden werden im Sinne einer unverbindlichen formalen Anzeige von etwas, das im jeweiligen phänomenalen Seinszusammenhang vielleicht sich als sein »Gegenteil« enthüllt. Dabei besagt dann »Nicht-Ich« keineswegs so viel wie Seiendes, das wesenhaft der »Ichheit« entbehrt, sondern meint eine bestimmte Seinsart des »Ich« selbst, zum Beispiel die Selbstverlorenheit.

H***
(Sein und Zeit, S. 116).

Der Raum ist »in« in der Welt

Der Raum ist weder im Subjekt, noch ist die Welt im Raum. Der Raum ist vielmehr »in« der Welt, sofern das für das Dasein konstitutive In-der-Welt-sein Raum erschlossen hat. Der Raum befindet sich nicht im Subjekt, nocht betrachtet dieses die Welt, »als ob« sie einem Raum sei, sondern das ontologisch wohlverstandene »Subjekt«, das Dasein, ist in einem ursprünglichen Sinn räumlich.

H***
(Sein und Zeit, S. 111).

Das Einräumen

Das für das In-der-Welt-sein konstitutive Begegnenlassen des innerweltlich Seienden ist ein »Raum-geben«. Dieses »Raum-geben«, das wir auch Einräumen nennen, ist das Freigeben des Zuhandenen auf seine Räumlichkeit. Dieses Einräumen ermöglicht als entdeckende Vorgabe einer möglichen bewandtnisbestimmte Platzganzheit die jeweilige faktische Orientierung. Das Dasein kann als umsichtiges Besorgen der Welt nur um-, weg-, und »einräumen«, weil zu seinem In-der-Welt-sein das Einräumen — als Existenzial verstanden — gehört.

H***
(Sein und Zeit, S. 111).

Die Ausrichtung

Das Dasein hat als ent-fernendes In-Sein zugleich den Charakter der Ausrichtung. Jede Näherung hat vorweg schon eine Richtung in eine Gegend aufgenommen, aus der her das Ent-fernte sich nähert, um so hinsichtliche seines Platzes vorfindlich zu werden. Das umsichtige Besorgen ist ausrichtendes Ent-fernen. In diesem Besorgen, das heißt im In-der-Welt-sein des Daseins selbst ist der Bedarf von »Zeichen« vorgegeben; dieses Zeug übernimmt die ausdrückliche un leicht handliche Angabe von Richtungen. Es hält die umsichtig gebrauchten Gegenden ausdrücklich offen, das jeweilige Wohin des Hingehörens, Hingehens, Hinbringens, Herholens. Wenn Dasein ist, hat als ausrichtend-entfernendes je schon seine entdeckte Gegend. Die Ausrichtung ebenso wie die Ent-fernung werden als Seinsmodi des In-der-Welt-seins vorgängig durch die Umsicht des Besorgens geführt.

H***
(Sein und Zeit, S. 108).

Dasein ist nie hier, sondern dort

Wir sagen zwar auch vom Dasein, daß es je einen Platz einnimmt. Dieses »Einnehmen« ist aber grundsätzlich zu scheiden von dem Zuhandensein an einem Platz aus einer Gegend her. Das Platzeinnehmen muß als Entfernen des umweltlich Zuhandenen in eine umsichtig vorentdeckte Gegend hinein begriffen werden. Sein Hier versteht das Dasein aus dem umweltlichen Dort. Das Hier meint nicht das Wo eines Vorhandenen, sondern das Wobei einer entfernenden Seins bei... in eins mit dieser Ent-fernung. Das Dasein ist gemäß seiner Räumlichkeit zunächst nie hier, sondern dort, aus welchem Dort es auf sein Hier zurückkommt und das wiederum nur in der Weise, daß es sein besorgendes Sein zu... aus dem Dort-zuhandenen her auslegt.

H***
(Sein und Zeit, S. 107).

Das »Nächste«

Das vermeintlich »Nächste« ist ganz und gar nicht das, was den kleinsten Abstand »von uns« hat. Das »Nächste« liegt in dem, was in einer durchschnittlichen Reich-, Greif- und Blickweite entfernt ist. Weil das Dasein wesentlich räumlich ist in der Weise der Ent-fernung, hält sich der Umgang immer in einer von ihm je in einem gewissen Spielraum entfernten »Umwelt«, daher hören und sehen wir zunächst über das abstandsmäß »Nächste« immer weg. Sehen und Hören sind Fernsinne nicht auf Grund ihrer Tragweite, sondern weil das Dasein als entfernendes in ihnen sich vorwiegend aufhält.

H***
(Sein und Zeit, S. 106-7).

Entdeckung

Das umsichtige Ent-fernen der Alltäglichkeit des Daseins entdeckt das An-sich-sein der »wahren Welt«, des Seienden, bei dem Dasein als existierendes schon ist..

H***
(Sein und Zeit, S. 106).

Die Tendenz auf Nähe

Das Ent-fernen ist zunächst und zumeist umsichtige Näherung, in die Nähe bringen als beschaffen, bereitstellen, zur Hand haben. Aber auch bestimmte Arten des rein erkennenden Entdeckens von Seiendem haben den Charakter der Näherung. Im Dasein liegt eine wesenhafte Tendenz auf Nähe. Alles Arten der Steigerung der Geschwindigkeit, die wir heute mehr oder minder gezwungen mitmachen, drängen auf Überwindung der Entferntheit.

H***
(Sein und Zeit, S. 105).

Entfernung

Unter Entfernung als einer Seinsart des Daseins hinsichtlich seines In-der-Welt-seins verstehen wir nicht so etwas wie Entferntheit (Nähe) oder gar Abstand. Wir gebrauchen den Ausdruck Entfernung in einer aktiven und transitiven Bedeutung. Sie meint eine Seinsverfassung des Daseins, hinsichtlich derer das Entfernen von etwas, als Wegstellen, nur ein bestimmter, faktischer Modus ist. Entfernen besagt ein Verschwindenmachen der Ferne, das heißt der Entferntheit von etwas, Näherung. Dasein ist wesenhaft ent-fernend, es läßt als das Seiende, das es ist, je Seiendes in die Nähe begegnen. Ent-fernung entdeckt Entferntheit.

H***
(Sein und Zeit, S. 105).

Die »Umwelt«

Die »Umwelt« richtet sich nicht in einem zuvorgegebenen Raum ein, sondern ihre spezifische Weltlichkeit artikuliert in ihrer Bedeutsamkeit den bewandtnishaften Zusammenhang einer jeweiligen Ganzheit von umsichtig angewiesenen Plätzen. Die jeweilige Welt entdeckt je die Räumlichkeit des ihr zugehörigen Raumes. Das Begegnenlassen von Zuhandenem in seinem umweltlichen Raum bleibt ontisch nur deshalb möglich, weil das Dasein selbst hinsichtlich seines In-der-Welt-seins »räumlich« ist.

H***
(Sein und Zeit, S. 104).