Das gedehnte Jetzt

Das Jett bekommt dadurch, daß ihm der Horizont nach der Vergangenheit und Zukunft verschlossen bleibt, gar nicht mehr die Möglichkeit, sich als das Frühere und als das Spätere zu zeigen. Das Jetzt hat keine Möglichkeit als die, das derzeitige Jetzt der Jetzt zu sein. Durch dieses Gedrängtwerden es Jetzt, im Jetzt zu sein, dehnt sich das Jetzt. Es werden nicht einzelne Jetztpunkte aneinandergehäuft, sondern in diesem, daß das Jetzt dat Jetzige wird und als das Jetzige sich ausgibt, dehnt sich das Jetzt selbst. Es gibt nicht mehrere Jetzt, sonder immer weniger, nur noch eines, ein gedehntes, das in dieser eigentümlichen Gedehntheit steht. Dieses Stehen des Jetzt und des Währens ist kein bloßes Stehengebliebensein, als würde nun nichts weiter mehr geschehen, als würde dieses gedehnte Jetzt gleichsam verlassen irgendwo herumstehen, sondern dieses gedehntes Jetzt steht in unser Dasein hinein.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 188).

Die stehende Zeit

Gemeinhin bekannt und bestimmt ist uns fast ständig die vergehende Zeit, unbestimmt und unbekannt die stehende. Die stehende Zeit steht in dieser unbestimmten Unbekanntheit in die Situation herein, und gerade dieses bestimmte mitplätschernde Zeithaben für das, was sich abspielt, läßt die Zeit stehen und als stehende. Sie verweilt nicht zu lange in ihrem Verlauf, sie zögert nicht, sondern sie weilt und währt einfach. Während dieses Währen überläßt sie uns nur diesem Dabeisein — überläßt, aber entläßt uns nicht. Dieses Nichtentlassen aber bekundet sich als eine ursprünglichere Hingehaltenheit als dieses weiterziehenden Aufgehaltenseins durch das bloße Zögern, das mit dem Eintritt des Zeitpunktes sein Ende findet.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 184).

Gelangweilt von... ich weiß nicht was

Die Frage ist: was langweilt uns in diesem Sichlangweilen bei..., wo wir doch nichts bestimmtes Langweiliges finden? Wir wissen es nicht, was uns langweilt. Oder schärfer gesprochen: Wir wissen es ganz deutlich, nämlich was uns langweilt, ist eben dieses »ich weiß nicht was«, dieses unbestimmte Unbekannte.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 179).

Lässigkeit des Sichlangweilens bei...

Das Suchen nach einem Ausgefülltsein von Seiendem unterbleibt im vorhinein. Die Leergelassenheit erfolgt jetzt nicht erst in und durch das Ausbleiben der Fülle, das Sichversagen dieses oder jenes Seienden, sondern sie wächst aus der Tiefe, weil ihre eigene Voraussetzung, das Suchen nach einem Ausgefülltsein von Seiendem, in dieser Lässigkeit schon unterbunden ist.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 177).

Der Idiot

Der Idiot wird sein der Erstgeschlagene unter den Menschen, die in Millionenzahl vom Verenden des Verstehens überrascht werden. Er ist ein Gemüt, das sich einmal zu weit ausspannte, sich überdehnte und nie wieder kontrahieren konnte. Der Idiot ist auch der Vorgänger eines technothymen Empfindens des Menschen für sich selbst. Alles, was der Idiot empfindet, empfindet er nämlich als selbstgemachte Empfindung. Von keiner Welt, keinen Sternen, keinen fremden Augen verursacht.

S***
Neue Zürcher Zeitung Online 26. Mai 2012

Wir langweile... uns...

Die Langeweile konzentriert sich mehr und mehr auf uns, auf unsere Situation als solche, wobei das Einzelne der Situation nicht ins Gewicht fällt; es ist nur das beiläufig, bei dem wir uns langweilen, nicht das, was uns langweilt.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 171).

SIch langweilen bei... einer Einladung

Wir konstatieren doch, daß die Einladung nichts Langweiliges hatte. In der Tat. Wir sprachen ja auch von vornherein nicht über die Langeweile im Sinne eines Gelangweiltwerdens von..., sondern es handelt sich um das Sichlangweilen bei der Einladung. Dann ist aber jedenfalls soviel festzuhalten: Die Einladung ist das, wobei wir uns langweilen, und dieses Wobei ist zugleich der Zeitvertreib. In dieser langweiligen Situation verschlingen sich die Langeweile und der Zeitvertreib in eigentümlicher Weise. Der Zeitvertreib schleicht sich in das Gelangweiltwerden hinein und bekommt, durch die ganze Situation hindurchgebreitet, ein eigentümliches Ausmaß, wie er es in der ersten Form mit den abgehackten und unruhigen Versuchen nie haben kann.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 170).

Langeweile ohne Widerstand

Zwar ist ein Zeitvertreib seinem Wesen nach immer bezogen auf Langeweile, aber nicht umgekehrt. Die Langeweile braucht nicht gleicht auf Widerstand zu stoßen. Am Ende ist es gerade das Charakteristikum dieser zweiten Form der Langeweile, des Sichlangweilens bei... im Unterschied vom Gelangweiltwerden, daß bei ihr der Zeitvertreib ausbleibt.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 167-8).

Zusammenhang von Hinhalten und Leerlassen

Damit das Seiende uns in dieser charakteristischen Weise im Sinne des uns Langweilens leerlassen kann, muß es selbst vorhanden sein. Das Leerlassen heißt nicht: abwesend sein von etwas, sondern ist eine bestimmte Art des Vorhandenseins, gemäß der die Dinge uns etwas versagen, was wir innerhalb dieser bestimmten Situation unter den betreffenden Umständen spontan erwarten. Daraus erwächst die Charakteristik des Leerlassenden, gemäß der es nun selbst in irgendeinem Zusammenhang steht mit dem ersten Moment: mit dem Hinhaltenden.

Daraus ergibt sich, daß das Hinhalten selbst das Leerlaasen bestimmt und trägt. Sofern das Hinhaltende die Zeit in irgendeiner bestimmten Form ist, ist offenbar auch die Zeit an diesem eigentümlichen Leerlassen, an diesem Stehenlassen, das von den Dingen ausgeht, beteiligt.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 160, 161).

Behauptenheit




Die Menschen interessiren
sich, in der Behauptenheit
dem Guten sich zu repon-
dieren. Ich habe die Ehre,
hiermit dem gnädigsten
Herrn mich zu rekommendiren.

Leergelassenheit

Wir sagten, die Dingen ließen uns in Ruhe, und dieses uns In-Ruhe-Lassen ist das Leerlassen, das von den Dingen ausgeht. Mithin ist das Gelangweiltwerden dieses In-Ruhe-gelassen-werden. Aber wenn wir von etwas in Ruhe gelassen werden, werden wir dann durch dieses ohne weiteres auch schon gelangweilt? Ist es nicht umgekehrt, daß jemand, der uns gar nicht in Ruhe läßt und uns ständig nachläuft, uns schließlich langweilig und überdrüssig wird? Die Dinge lassen uns in Ruhe, stören uns nicht. Aber sie helfen uns auch nicht, sie ziehen unser Verhalten nicht auf sich. Sie überlassen uns uns selbst. Deshalb, weil sie uns nichts zu bieten haben, lassen sie uns leer. Leerlassen heißt, als Vorhandenes nichts bieten. Leergelassenheit meint: om Vorhandenen nichts geboten bekommen.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 155).

Das Zaudern der Zeit

Im Zeitvertreib handelt es sich um ein Herumbringenwollen des Zaudern der Zeit. Langsamsein und Zögern ist nicht dasselbe; was zögert, ist zwar notwendig in gewissem Sinne langsam — aber nicht jedes Langsame braucht zu zögern. Die zögernde Zeit soll angetrieben werden, schneller zu gehen, damit sie uns nicht mit ihrer Lahmheit selbst lähmt, damit die Langeweile verschwindet. Für unser leitendes Problem, was das Gelangweiltwerden eigentlich sei, ergibt sich dann: Das Gelangweiltwerden ist eine eigentümliche lähmende Betroffenheit vom zögernden Zeitverlauf und der Zeit überhaupt, eine Betroffenheit, die uns in ihrer Weise bedrängt.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 148).

Das Auf-die-Uhr-Sehen

Das Auf-die-Uhr-Sehen ist die selbst hilflose Bekundung des Mißlingens des Zeitvertreibens und damit des wachsenden Gelangweiltwerdens.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 146).

Widerrufung der Definiton des Zeitvertreibs

Wenn wir sagen, der Zeitvertreib ist ein Zeit antreibendes Wegtreiben der Langeweile, so scheint das eine sehr exakte Definition des Zeitvertreibes zu sein. Aber bei näherer Betrachtung sehen wir, daß diese Definition nicht richtig ist. Denn in diesem Zeitantreiben und Wegtreiben der Langeweile ist schon etwas über die Langeweile gesagt, nämlich dieses Moments des Zeitantreibens, Herumtreibens.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 143-4).

Der Zeitvertreib

Zeitvertreib ist ein Zeit antreibendes Wegtreiben der Langeweile.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 140).

Hinhalten und Leerlassen

Das Langweilende, Langweilige ist das Hinhaltende und doch Leerlassende.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 130).

Verstehen der Langeweile

Vielleicht kennen wir diese Langeweile nicht, weil wir die Langeweile überhaupt nicht in ihrem Wesen verstehen. Vielleicht verstehen wir ihr Wesen nicht, weil sie uns noch nie wesentlich geworden ist.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 122).

Grundstimmung: Langeweile

Diese tiefe Langeweile ist die Grundstimmung.


H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 120).

Die tiefe Langeweile

Oder ist diese Langeweile, die wir da so kennen und von der wir jetzt so unbestimmt sprechen, nur ein Schatten der wirklichen? Wir fragten ja und fragen immer wieder: Ist es am Ende so weit mit uns, daß eine tiefe Langeweile in den Abgründen des Daseins wie ein schweigender Nebel hin- und herzieht?

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 119).

Die Langeweile

Die Langeweile — wer kennt sie nicht, wie sie in den verschiedenen Gestalten und Verschleierungen auftaucht, uns oft nur für Augenblicke befällt, oft auch längere Zeit quält und bedrückt. Wer weiß nicht, daß wir, sobald sie kommt, uns auch schon daran gemacht haben, sie wegzudrücken, und bemüht sind, sie zu vertreiben; daß es nicht immer gelingt, ja, daß sie oft gerade dann, wenn wir ihr mit allen möglichen Mitteln zu Leibe gehen, hartnäckig wird, aufsässig, daß sie erst recht bleibt und erst recht häufiger wiederkehrt und uns dann langsam an die Grenze der Schwermut drängt?

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 119).

Der Mensch in der Kulturphilosophie

Was geschieht, ganz abgesehen von der kulturphilosophischen Einordnung des Menschen in die Kultur, in diesen Deutungen? Der Mensch und vielleicht auch der heutige wird so vom Ausdruck seiner Leistungen her dargestellt. Und doch bleibt die Frage, ob diese Darstellung des Menschen sein Da-sein trifft und ergreift, ja zum Sein bringt, ob diese Dar-stellung, die am Ausdruck orientiert ist, das Wesen des Menschen nicht nur faktisch verfehlt, sondern es notwendig verfehlen muß, ganz abgesehen von der Ästhetik. Mit anderen Worten: diese Philosophie gelangt nur zur Dar-stellung des Menschen, aber nie zu seinem Da-sein. Sie gelangt nicht nur faktisch nicht dazu, sondern kann notwendig nicht dahin gelangen, weil sei sich selbst den Weg dazu verbaut.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 113).

Da-sein und Weg-sein

Wir sehen: am Ende gehört zur Weise, wie der Mensch überhaupt ist, dieses Wegseinkönnen. Aber er kann nur wegsein in dieser Weise, wenn sein Sein den Charakter des Da-seins hat. Wir nennen das Sein des Menschen Da-sein in einem noch zu bestimmenden Sinne im Unterschied zum Vorhandensein des Steines. Zum Wesen des Daseins gehört am Ende dieses Weg-sein. Das ist nicht ein beliebiges Vorkommnis, das zuweilen eintritt, sondern ist ein wesenhafter Charakter des menschlichen Seins selbst, ein Wie, gemäß dem er ist, so daß ein Mensch, sofern er existiert, in seinem Dasein immer auch schon und notwendig in irgendeiner Weise weg ist.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 95).

Bewußtes Nicht-Da-sein

Wie oft sind wir bei einem Gespräch in einer Gesellschaft »nicht da«, wie oft finden wir, daß wir abwesend waren, ohne daß wir dabei eingeschlafen wären. Dieses Nicht-Da-sein, Weg-sein, hat mit Bewußtheit und Unbewußtheit in dem üblichen Sinne gar nichts zu tun. Im Gegenteil, dieses Nicht-Da-Sein kann sehr bewußt sein.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 95).

Negatives Infragestellen des Ich

Man pflegt immer als besonderes Charakteristikum zu nennen, daß die Neuzeit seit Descartes nicht mehr von der Existenz Gottes und den Gottesbeweisen ausgeht, sondern vom Bewußtsein, vom Ich. Wir sehen daß in der Tat das Ich, das Bewußtsein, die Vernunft, die Person, der Geist im Zentrum der Problematik steht. Wenn wir diese Tatsache beachten und fragen, ob am Ende in dieser zentralen Stellung des Ich, des Selbstbewußtseins zum Ausdruck kommt, daß in der neuzeitlichen Philosophie das fragende Ich mit in Frage gestellt wird, dann müssen wir sagen: Es ist in der Tat so, aber in einer eigentümlichen Weise. Denn das Ich, das Bewußtsein, die Person wird so in die Metaphysik hineingenommen, daß dieses Ich gerade nicht in Frage gestellt wird. Das bedeutet nicht ein einfaches Unterlassen des Infragestellens, sondern das Ich und das Bewußtsein wird gerade als das sicherste und fragloseste Fundament dieser Metaphysik zugrundegelegt.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 84).

Das Schicksal der eigentlichen Philosophie

Metaphysik wird zum Titel für die Erkenntnisse des über das Sinnliche hinausliegenden, für die Wissenschaft und Erkenntnis des Übersinnlichen. Das läßt sich an der lateinischen Bedeutung deutlich machen. Die erste Bedeutung von μετα, hinterher, heißt im Lateinischen post, die zweite Bedeutung trans. Der technische Titel »Metaphysik« wird jetzt zu einer inhaltlichen Bezeichnung der πρωτη φιλοσοφια.

Dieser Umschlag des Titels ist durchaus nichts Beiläufiges. Es entscheidet sich damit etwas Wesentliches — das Schicksal der eigentlichen Philosophie im Abendland.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 59, 60).

Wohin mit der eigentlichen Philosophie?

Aufgrund dieses festen Bestandes der drei Disziplinen der Philosophie war man außerstande, das, was Aristoteles als eigentliche Philosophie bezeichnet, aufzunehmen. Gegenüber der eigentliche Philosophie des Aristoteles entstand die Verlegenheit, daß sie in keine der Disziplinen gehörte. Andererseits konnte man gerade dieses, was von Aristoteles als das eigentliche Philosophieren bezeichnet wird, am wenigsten beiseitelassen. Somit enstand die Frage: Wohin mit der eigentlichen Philosophie im Schema der drei Disziplinen, die zu erweitern oder zu ändern die Schule außerstande war? Wir müssen uns diese Lage ganz klar machen: Das wesentliche der Philosophie ließ sich nicht unterbringen. Die Schulphilosophie geriet gegenüber dem Philosophieren in eine Verlegenheit.

H***
(Die Grundbegriffe der Metaphysik, S. 57).