Was hinzukommt

Mit all dem (seiend, eines und anderes seiend, beides, selbig, zwei, eins, ungleich, gleich seiend) vernehmen wir solches, was zu Farbe und Ton hinzukommt.

H***
(Vom Wesen der Wahrheit, S. 186)

Anderes und Selbiges

Ουκουν και οτι εκατερον εκατερου μεν ετερον, εαυτωι δε ταυτον;
—Τι μην;

»Nicht auch dieses, daß das je Eine zum je Anderen zwar ein Anderes ist, zu ihm selbst aber ein Selbiges?
—Was sonst?«

P***
(185 a 8)

Farbe und Ton sind

Περι δη φωνης και περι χροας πρωτον μεν αυτο τουτο περι αμφοτερων η διανοηι, οτι αμφοτερω εσον;
— Εγωγε.

»Bezüglich Ton also und Farbe: vernimmst du nicht vor allem dieses von beiden, sie durchnehmend, daß sie beide sind?
—Ja.«

P***
(185 a 8)

Seele und Körper

Also erst auf Grunde des schon sich erstreckenden Verhältnisses zu etwas ist eine Gliederung von Körperlichem zu Organhaftem möglich. Erst so kann ein Körper zu einem Leib werden. Leib, das heißt in einer Hinsicht Körperliches, kann nur sein, indem es (er) sich in eine Seele einsenkt; nicht wird umgekehrt einem Körper eine Seele eingehaucht.

H***
(Vom Wesen der Wahrheit, S. 177)
Die Krähen schrein
und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
bald wird es schnein, -
wohl dem, der jetzt noch - Heimat hat!

Nun stehst du starr,
schaust rückwärts, ach! wie lange schon!
Was bist du Narr
vor Winters in die Welt entflohn?

Die Welt - ein Tor
zu tausend Wüsten stumm und kalt!
Wer das verlor,
was du verlorst, macht nirgends Halt.

Nun stehst du bleich,
zur Winter-Wanderschaft verflucht,
dem Rauche gleich,
der stets nach kältern Himmeln sucht.

Flieg, Vogel, schnarr
dein Lied im Wüstenvogel-Ton! -
Versteck, du Narr,
dein blutend Herz in Eis und Hohn!

Die Krähen schrein
und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
bald wird es schnein, -
weh dem, der keine Heimat hat!
Es geht ein Wandrer durch die Nacht
Mit gutem Schritt;
Und krummes Thal und lange Höhn --
Er nimmt sie mit.
Die Nacht ist schön --
Er schreitet zu und steht nicht still,
Weiß nicht, wohin sein Weg noch will.
Da singt ein Vogel durch die Nacht:
'Ach Vogel, was hast du gemacht!
Was hemmst du meinen Sinn und Fuß
Und gießest süßen Herz-Verdruß
In's Ohr mir, daß ich stehen muß
Und lauschen muß -- --
Was lockst du mich mit Ton und Gruß?' --

Der gute Vogel schweigt und spricht:
'Nein, Wandrer, nein! Dich lock' ich nicht
Mit dem Getön --
Ein Weibchen lock' ich von den Höhn --
Was geht's dich an?
Allein ist mir die Nacht nicht schön.
Was geht's dich an? Denn du sollst gehn
Und nimmer, nimmer stille stehn!
Was stehst du noch?
Was that mein Flötenlied dir an,
Du Wandersmann?'

Der gute Vogel schweig und sann:
'Was that mein Flötenlied ihm an?
Was steht er noch? --
Der arme, arme Wandersmann!
O Mensch! Gib Acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
"Ich schlief, ich schlief -,
"Aus tiefem Traum bin ich erwacht: -
"Die Welt ist tief,
"Und tiefer als der Tag gedacht.
"Tief ist ihr Weh -,
"Lust - tiefer noch als Herzeleid:
"Weh spricht: Vergeh!
"Doch alle Lust will Ewigkeit -,
"- will tiefe, tiefe Ewigkeit!"

Unser Selbst ist in seinem Wesen verhältnishaft

Wir vernehmen nicht deshalb Farbe und Ton und Geruch, weil wir sehen oder hören und riechen, sondern umgekehrt: weil unser Selbst in seinem Wesen verhältnishaft ist, d.h. einen Bezirk von Vernehmbarkeit überhaupt sich voraus- und vorhält und zu diesem sich verhält, deshalb können wir uns als solche vernehmend innerhalb eines und desselben Bezirkes zerstreuen, und erst deshalb können wir uns als dieselben bald in ein Seh- oder Hör-, bald in ein Riechverhältnis verlegen.

H***
(Vom Wesen der Wahrheit, S. 176-7)

Das Gesichtete in seinem Gesichtetsein

Dieses, diesen einen, uns je schon vorgehaltenen Bezirk möglicher Vernehmbarkeit des Wahrgenommenen in seinem Vorgehalten-sein, sagt Platon, kann man, wenn es beliebt, »Seele« nennen. Also was ist die Seele>? Dieser eine uns umfangende Bezirk der Vernehmbarkeit, genauer: dieses Gesichtete in seinem Gesichtetsein. Die »Seele« ist das diesen einen Bezirk der Vernehmbarkeit Vorhaltende, in eins mit diesem Bezirk selbst.

H***
(Vom Wesen der Wahrheit, S. 175)

Dieser eine Bezirk der Vernehmbarkeit

(...) daß überhaupt alles Wahrgenommene, was uns begegnet, sich zusammenfindet, je sich zusammen hin-streckt in einen Bezirk des Vernehmbaren, das uns umgibt; es muß ausbreitend sich hinhalten, und zwar sich zusammennehmend auf Eines, das so etwas ist wie ιδεα.

Dieses Eine entsteht nicht erst aus, durch und mit einzelnen Wahrnehmungen und deren Wahrgenommenem, Farbe und Ton, sondern dieser eine Bezirk der Vernehmbarkeit ist solcher εις ο..., — er ist »etwas, woraufzu...«, was also schon da ist. Er wartet gleichsam auf solches, was sich in ihn hinein und innerhalb seiner zusammenstreckt und sich zusammenfindet, was uns dann und wann und im Grunde ständig in der Wahrnehmung begegnet.

H***
(Vom Wesen der Wahrheit, S. 174-5)

So etwas wie eine Idee

Δεινον γαρ που, ω παι, ει πολλαι τινες εν ημιν ωσπερ εν δουρειοις ιπποις αισθησεις εγκαθηνται, αλλα μη εις μιαν τινα ιδεαν, ειτε ψυχην ειτε οτι καλειν, παντα ταυτα συντεινει, ηι δια τουτων οιον οργανων αισθανομεθα οσα αιθητα.

»Unheimlich nämlich, mein Sohn, wäre es, wenn so viele Wahrgenommenheiten in uns drinnen gleichsam versprengt an verschiedenen Stellen zusammensäßen, so wie die Krieger im hölzernen Pferde, und wenn nicht alles dieses zusammen sich hin-streckte auf so etwas wie eine Idee, d.h. auf ein gewisses eines, einziges Gesichtetes, mag man das »Seele« nennen oder sonstwie.«

P***
(184 d 1)

Wissen ist Wahrgenommenheit

Wissen, Sich-verstehen auf etwas als Besitz von Wahrheit, d.h. Unverborgenheit, ist Wahrgenommenheit.

H***
(Vom Wesen der Wahrheit, S. 165)

Wahrgenommenheit

Das Wahrgenommene als solches, d.h. in seiner Wahrgenommenheit, ist das Selbige wie φαντασια, das Sich-zeigende in seinem Sich-zeigen. αισθησις meint Wahrgenommenheit von etwas.

H***
(Vom Wesen der Wahrheit, S. 164)

Φαντασια

φαντασια αρα και αισθησις ταυτον

»Phantasie und Wahrnehmung sind dasselbe.«

P***
(152 c 1)

Wissen als Verfügen über die Unverborgenheit

Erkennen ist Gegenwärtig-haben von Anwesendem als solchem, In-seiner-Anwesenheit-zur-Verfügung-haben, selbst wenn es abwesend sein sollte, als auch dann und gerade dann, wenn das einzelne Ding nicht zur Verfügung steht. Darin liegt: für solches Verfügen zeigt sich das Seiende in seinem Sinn; es ist als solches offenbar, unverborgen. Wissen (Sich-auskennen-in...) wird so zum Verfügen über die Unverborgenheit des Seienden, d.h. zum Haben und Besitzen von Wahrheit.

H***
(Vom Wesen der Wahrheit, S. 160-1)

Sehen als Gegenwärtig-haben von Seiendem

Das Erfassen und Erkennen von Anwesendem als solchem, des Seienden in seiner Gegenwart, muß sein ein Gegenwärtig-haben. Und das Sehen, das Im-Auge-haben, Im-Blick-behalten, ist in der Tat die vorherrschende, auffälligste, unmittelbarste, zugleich eindrücklichste und weitreichendste Weise des Gegenwärtig-habens von etwas.

H***
(Vom Wesen der Wahrheit, S. 159)

Sehen und Wissen

Erkennen als »Sehen« und Wissen als »Sich-verstehen-auf-etwas« sind zunächst zwei grundverschiedene Verhaltungen. Doch gehen gerade diese beiden im griechischen Begriff der Erkenntnis im weitesten Sinne zu einer Einheit zusammen. Die eigentümliche Verschmelzung dieser beiden Grundbedeutungen des Sich-verstehens auf etwas und des Sehens von etwas macht den Grundgehalt des griechischen Erkenntnisbegriffs aus.

H***
(Vom Wesen der Wahrheit, S. 158)

Philosophischer Begriff als angreifender Eingriff

Nicht darum handelt es sich, daß ein bisher vielleicht vieldeutiges Wort (επιστημη) zur Eindeutigkeit gebracht und seine Definition gewonnen wird. Der »Begriff«, der für dieses wie für jedes philosophische Wort gesucht wird, ist kein Gattungsbegriff vorhandene Dinge, sondern ein angreifender Eingriff in die Wesensmöglichkeit menschlicher Existenz.

H***
(Vom Wesen der Wahrheit, S. 157)
Ist nicht gerade die Frage, worauf es eigentlich bei einem Sich-auskennen ständig und vor allem ankommt, damit es ein »wirkliches« sein könne?

H***
(Vom Wesen der Wahrheit, S. 156)

Was-Frage

Wenn wir etwas unter die Was-Frage stellen, sollen wir einerseits dieses Was schon kennen, um Beispiele für den Vergleich vorzulegen, und gleichwohl wird erst danach gefragt.

H***
(Vom Wesen der Wahrheit, S. 155)

αισθησις

αισθησιν γαρ δη επιστημην απεκρινω: η γαρ;
— Ναι

»Wahrnehmung sei Wissen [macht das Wesen des Wissens aus], hast du nämlich geantwortet, nicht wahr?
—Ja.«

P***
(Theätet, 184 b 4)

Falschheit als Grund einer innersten Not

Charakteristischerweise ist nun von diesen verschiedenen Abwandlungen der Unwahrheit lediglich die zuletzt aufgeführte bekannt geworden: die Unwahrheit im Sinne des Verstellten (...). Daß diese Weise der Unwahrheit im Sinne der Falschheit allein in den Blick kam und streckenweise zum Problem gemacht wurde, und zugleich wie sie das wurde, dies beides ist nichts Gleichgültiges, sondern der Grund einer innersten Not, an der seitdem die Existenz des Menschen trägt. Es bestimmt sich von da her wesentlich der Gang und die Richtung der Geschichte des abendländischen Geistes und seiner Völker.

H***
(Vom Wesen der Wahrheit, S. 145-6)

Mehrdeutige Unwahrheit

Die umfassend begriffene Unwahrheit erweist sich nun als durch und durch zweideutig. Das Nicht-Unverborgene, das Nicht-Wahre ist einmal das Verborgene im Sinnen des Nicht-Entborgenen und sodann das Verdeckte als das Nicht-mehr-Entborgene. Beide, sowohl das Noch-nicht-Entborgene wie das Nicht-mehr-Entborgene, sind wiederum mehrdeutig. Entweder: das Noch-nie-Entborgene, Noch-nie-Offenbargemachte, obzwar Entbergbare; und zum andern: das Verdeckte als das Nicht-mehr-Entborgene, zuvor aber Offenbare, kann sein das wieder vollends in die Verborgenheit Zurückgesunkene — oder ein Verborgenes, das aber dabei noch in gewisser Weise entborgen ist und sich zeigt: das Verstellte.

H***
(Vom Wesen der Wahrheit, S. 145)
Es geschieht ein Abrücken, ein Abwesend-werden des Seienden vom Menschen.

H***
(Vom Wesen der Wahrheit, S. 140)

Die Weg-heit des Seienden

(...) für die Griechen bedeutet das Sein des Seienden Anwesenheit. Das Größte und was deshalb dem Seienden am Gefährlichstem geschehen kann, ist dies, daß es abwesend wird, weg ist: das Aufkommen von Abwesenheit, das Weg-sein, die Weg-heit des Seienden. Es tritt ein ληθη des Seienden, Verborgenheit, — nicht im Sinne des aufbewahrenden Versteckens, sondern einfach Weg-sein.

H***
(Vom Wesen der Wahrheit, S. 140)

Verdrehung

Verdrehung (το ψευδος) heißt die Sache so drehen, daß sie uns eine Seite zukehrt, dabei anderes was dahintersteckt, verstellen und verdecken; das Zukehren und Drehen kann nun aber sogar so sein, daß die zugekehrte Seite nicht etwas anderes, was dahintersteckt, verbirgt, sondern daß versteckt wird, daß eben nichts dahinter ist, — so drehen, daß der Eindruck entsteht, es sei etwas dahinter; daß es nach etwas aussieht, aber das nicht ist, als was es sich zeigt.

H***
(Vom Wesen der Wahrheit, S. 136)

Wahrheit als Verneinung

Dann ist also die Wahrheit der Sache nach selbst schon eine Verneinung. In der Un-Verborgenheit wird zur Verborgenheit »nein« gesagt. Dann liegt alles umgekehrt: die Wahrheit ist Verneinung (negativ), die Un-Wahrheit Bejahung (positiv).

H***
(Vom Wesen der Wahrheit, S. 131)